10.03.12: Leserbrief zu: „Ein irreführender Begriff“, Die Tagespost v. 06.03.12 S 2.
(Siehe dazu den zugehörigen Artikel in der Tagespost.
Als Ärztin möchte ich mich für das lang erwartete kritische bischöfliche Wort zur sog. postmortalen Organspende bei S. E. Bischof Algermissen bedanken. Zweifellos ist das Wort ‚Spende‘ von gutem Klang, erinnert an Nächstenliebe und Wohltun, bedeutet primär eine sittlich gute Handlung. Es sei denn, diese Spende beruht auf falschem Vorentscheid wie die Erwartung entsprechender Vorteile oder einer eher selbstsüchtigen Gegenleistung oder sie erfolgt nicht aus uneingeschränkter, sondern beeinflusster Freiwilligkeit. Oder sie stammt gar aus einem Topf, auf dessen Inhalt niemand ein Anrecht hat! Letzteres erscheint mir als das eigentliche Kriterium für die medizinische Handlung der Organentnahme, der Explantation.
Wie Graf von Wengersky in seinem Leserbrief erneut eindrücklich schildert, verweisen u. a. die Transplantationsmediziner Miller und Truog in USA seit Jahren auf ihr Konzept der Organentnahme bei Hirntoten als eines des „prior to death“; die Organe stammen somit „from living patients“. Von ‚Noch-Lebenden‘! Und Ihre Frage:“Can we handle the truth“? wendet sich an Justiz und Öffentlichkeit.
Gelingt eine Antwort etwa mittels der in unserem Land vorgesehenen gesetzlichen „Regelung der Entscheidungslösung“, auch wenn sie das Recht auf informationelle Selbstbestimmung unbeachtet lässt und nur „regeln“ will?
Die ethisch brisante Frage an den Arzt ist die, was er an einem versterbenden Patienten tun darf, obgleich dieser noch nicht tot ist. Für die Beurteilung des Todes, jenes unbestimmbaren Übergangs der Person in die Hand ihres Schöpfers, in erhofftes „neues Leben“ -(oder in das Nichts?)-, sind einzelne überlebende Zellen (Spermien oder der nachwachsende Fingernagel) nur von materiellem, nicht von personalem Rang. Dagegen kann das Funktionieren gehirnunabhängiger Lebensäußerungen in einem menschlichen Organismus, die sich nicht selten über längere Zeit vital halten, nicht unbeachtet bleiben. Sie dürfen nicht utilitaristisch ‚übersehen‘ werden. Solange ich des Todes des mir überantworteten Patienten nicht sicher bin, bleibt jeder manuelle Eingriff an seinem Leib unerlaubt, der sein Sterben absichtlich oder nur um eines extern-fremden Zweckes willen verkürzt. Was hält die Medizin zurück, eine Obduktion nicht am „Hirntoten“, sondern nur dann zu erlauben, wenn sichere Todeszeichen (Leichenflecken, Totenstarre) vorliegen? Wäre es für unser Wissen nicht ergiebiger, schon im Neusprech des sog. „postmortal“ zu beginnen, wenn alles -außer dem Gehirn- noch funktionsfähig ist und wir mehr sehen? Eine innere Stimme hält uns hier zu Recht zurück.
Darf der Arzt das Sterben stören? Was gebietet mir die Achtung vor seiner Würde und seinem Lebensrecht, das unser Grundgesetz bis zum natürlichen Tod garantieren soll und wofür letztlich das 5. Sinaigebot steht? Wie sollen wir mit dieser Wahrheit umgehen?
Dr. med. Maria Overdick-Gulden, Trier