EVE – Entwicklung einer künstlichen Gebärmutter

Im vergangenen Jahr gelang einem Team von US-Forschern bei der Entwicklung einer künstlichen Gebärmutter in Tierversuchen ein sensationeller Durchbruch.

Von Professor Paul Cullen

(Der Beitrag wurde veröffentlicht in „Die Tagespost“ am 10.01.18)

Mit der heute verwandten Medizin-Technologie liegt die untere Reifegrenze, die ein Überleben frühgeborener Kinder ermöglicht, bei etwa 22 Wochen. Wobei selbst 30 Wochen alte Kinder ein erhöhtes Risiko für schwere Komplikationen besitzen. Seit vielen Jahren arbeiten Forscher deshalb an der Entwicklung einer artifiziellen Gebärmutter. Bis zum vergangenen Jahr sind sämtliche Anstrengungen, eine Umgebung zu schaffen, die extremen Frühgeburten das Überleben außerhalb des Mutterleibes ermöglichen könnte, jedoch im Tierversuch gescheitert, zumeist wegen tödlicher Infektionen der Feten.

Geschlossenes steriles System mit externem Blutkreislauf

Erst Wissenschaftlern um den US-amerikanischen Kinderchirurgen Alan Flake vom Children s Hospital in Philadelphia, deren Ergebnisse im April 2017 veröffentlicht wurden, brachten den Durchbruch. Mittels eines geschlossenen sterilen Systems mit einem externen Blutkreislauf, der auf Pumpen verzichtet und nur durch die Herzaktivität des Fötus über einen neuartigen Anschluss an die Nabelvene und Nabelarterien angetrieben wird, gelang es dem Team, Lämmer in der 18. Woche (das entspricht beim Menschen der 23. Woche) über einen Zeitraum von vier Wochen am Leben zu halten. In dieser Zeit entwickelten sich die Lämmer weitgehend normal und zeigten nur wenige schwerwiegende Komplikationen. Mittlerweile sind die Ergebnisse von anderen Forschern bestätigt worden und können deshalb als gesichert gelten. Das dabei verwandte System wird inzwischen von manchen als EVE, „ex-vivo uterine environment“, bezeichnet.

Die Bezeichnung EVE (dt.: Eva) lässt tief blicken und verrät Manches über die Erwartungen, die einige an ein solches System stellen. Neu sind sie nicht: Bereits 1923 wartete der britische Biologe, Kommunist und Atheist J.B.S. Haldane mit der Prognose auf, im Jahre 2074 würden gut zwei Drittel aller menschlichen Embryonen in einer künstlichen Gebärmutter heranwachsen. Haldane, der als Mitbegründer der Populationsgenetik gilt, war übrigens mit Aldous Huxley befreundet, weshalb es wahrscheinlich ist, dass viele der Ideen in Huxleys Schlüsselroman „Schöne Neue Welt“ (engl.: „Brave new world“), der eine Gesellschaft beschreibt, in der Reproduktion und Sexualität vollständig entkoppelt wurden, von Haldane stammen.

Erwähnenswert ist auch, dass Julian Huxley, Halbbruder von Aldous und wie Haldane Biologe, ein Verfechter der Eugenik war. 1957 prägte er den Begriff des „Transhumanismus“, gewissenmaßen als logische Fortsetzung des eugenischen Projekts zur „Verbesserung“ der menschlichen Spezies.

Schritt in Richtung der vollständigen Entkopplung von Sexualität und Reproduktion

Auch wenn Huxley und Haldane längst das Zeitliche gesegnet haben, ihre Gedanken haben überlebt und werden von anderen weiter gedacht. Was die Entwicklung einer artifiziellen Gebärmutter nicht ungefährlich macht, stellt sie doch einen weiteren Schritt in Richtung der vollständigen Entkopplung von Sexualität und Reproduktion und zur totalen Verfügbarmachung des Menschen dar. Dies umso mehr, als eine der „Schwachstellen“ der „Herstellungskette“ der Reproduktionsmedizin die Leihmutterschaft ist, die eine Vielzahl von ethischen und aus Sicht der Anbieter weit schwerer wiegenden juristischen Probleme aufwirft. Gelänge es eines Tages, die komplette Entwicklung von der befruchteten Eizelle bis zum Baby „ex utero“, außerhalb der Gebärmutter ablaufen zu lassen, würde die Notwendigkeit einer Leihmutterschaft vollends entfallen und der gesamte Prozess könnte per Bestellung aus einem Internetkatalog mittels Spermien- und Eizellbanken in Labors abgewickelt werden.

Technisch ist das bislang Science-Fiction und ganz sicher wollen die Forscher aus Philadelphia solche „Visionen“ auch gar nicht ermöglichen. Ihr Interesse zielt vielmehr darauf, die Chancen frühgeborener Kindern zu verbessern. Das sollte allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Forscher um Flake gezeigt haben, dass eine gesunde Entwicklung des Fötus außerhalb der Gebärmutter prinzipiell möglich ist und dass es in Zukunft daher darum gehen wird, die Details solcher „biobags“ so zu verfeinern, dass in ihnen die gesamte vorgeburtliche Entwicklung erfolgreich verlaufen kann.

Option einer künstlichen Gebärmutter setzt Abtreibungs-Befürwortern zu

Ironischerweise setzt die Option einer künstlichen Gebärmutter aber auch den Befürwortern von Abtreibungen zu. Der Grund: Vorgeburtliche Kindstötungen werden heute meist mit dem Argument gerechtfertigt, dass das Kind bis zu seiner Geburt (bei einigen auch darüber hinaus) kein vollwertiger, mit personalen Rechten ausgestatteter Mensch sei, sondern lediglich die Potenz zu einem solchen besitze. Erst nach der Geburt erlange der Mensch alle diese Rechte, da er erst jetzt in der Lage sei, sein Leben autonom, aus eigener Kraft aufrechtzuerhalten.

Mit der Entwicklung der künstlichen Gebärmutter verlöre dieses Argument jedoch auch den letzten Rest an Überzeugungskraft. Denn die „biobags“ würden für jeden transparent machen, dass der Mensch in Wahrheit das gesamte, für seine Entwicklung benötigte Potenzial vom ersten Augenblick an in sich trägt. Da dem Embryo in der künstlichen Gebärmutter nur Nährstoffe und Sauerstoff von außen zugeführt werden, würde für jeden und mit bloßem Auge sichtbar, dass die Entwicklung des Menschen ein nahtloses Kontinuum ohne qualitative Zäsuren darstellt.

Künstliche Gebärmutter würde das „my body, my choice“-Argument entkräften

Des weiteren würde die künstliche Gebärmutter auch das „my body, my choice“-Argument entkräften. Einige Befürworter der Abtreibung wie die Philosophin Judith Jarvis Thompson argumentieren nämlich nicht mit dem Recht einer Mutter auf Tötung ihres noch-nicht geborenen Kindes, sondern mit dem Recht der Frau, über ihren eigenen Körper frei zu verfügen. In dem 1971 in der Zeitschrift „Philosophy & Public Affairs“ erschienenen Artikel „A Defence of Abortion“ schreibt Jarvis Thompson sinngemäß: „Bei der Frage der Abtreibung geht es darum, ob der Fötus ein Recht hat, gegen ihren Willen im Körper einer Frau zu sein. Oder anders herum formuliert: Gehört der Körper einer Frau ihr selbst, oder gehört er dem Staat, der darüber zugunsten des Fötus verfügen kann?

Aus einer Position der Verteidigung der individuellen Rechte heraus kann die Antwort nur lauten, dass der Fötus kein Recht, hat in der Gebärmutter irgendeiner Frau zu sein, sondern dass er sich dort nur aufgrund ihrer Erlaubnis befindet. Erlaubnisse sind aber keine Rechte. Eine Erlaubnis kann jederzeit widerrufen werden. Diese Anmerkung berührt nicht die Frage, ob es sich bei einem Fötus um eine Person mit allen Rechten handelt, wie das von sogenannten ,Lebensschützern behauptet wird, sondern nur das Wesen der Beziehung zwischen dem Fötus und der schwangeren Frau.“

In dem Moment, in dem bei der Feststellung einer ungewollten Schwangerschaft das Kind in eine künstliche Gebärmutter überführt werden könnte, verliert das „my body, my choice“-Argument jede Bedeutung. Da eine Schwangerschaft in der Regel erst in der achten Woche nach Befruchtung festgestellt wird, ist diese Vorstellung keine technische Utopie, sondern könnte bereits in wenigen Jahren Realität sein. Erschwerend käme hinzu, dass ein Transfer des Embryos in eine künstliche Gebärmutter für die Mutter wahrscheinlich weniger belastend wäre als eine Abtreibung.

„Reproduktives Schicksal“?

Das „Risiko“, das die Entwicklung einer künstlichen Gebärmutter für ihre Argumentation darstellt, ist Verfechtern des vermeintlichen Rechts auf Abtreibung natürlich nicht verborgen geblieben und hat bereits heftige Reaktionen hervorgerufen. So argumentierte Kate Greasley, Rechtswissenschaftlerin der Universität Oxford in der Zeitschrift „New Statesman“:

„Das Verhindern einer Situation, in der biologische Nachkommen existieren, zu denen man keine Beziehung hat, kann an und für sich ein signifikantes menschliches Interesse darstellen. (…) Dies rückt die alte Debatte über den intrinsischen moralischen Wert des Fötus wieder in den Mittelpunkt der Diskussion. Wenn der Embryo oder Fötus einen sehr geringen moralischen Wert besitzt, und Abtreibung sich nicht sehr von Empfängnisverhütung unterscheidet, dann ist das Interesse an Kontrolle über die Zeugung sicherlich stark genug, um Abtreibungsrechte zu festigen auch in einer Welt der künstlichen Gebärmutter (…). Eines ist also sicher: In einer zukünftigen Welt, in der künstliche Gebärmütter leicht verfügbar sind, werden Verteidiger der Abtreibungsrechte (…) ihren Schwerpunkt von der Kontrolle der Frauen über den eigenen Körper auf das bedeutende Interesse in der Steuerung unseres reproduktiven Schicksals hin verlagern müssen.“

Mit anderen Worten: Künftig wird es also nicht mehr um die Kontrolle von Frauen über ihren eigenen Körper gehen, sondern um das bedeutende Interesse an der Steuerung des eigenen reproduktiven Schicksals. Mit dieser Argumentation verlässt Greasley nicht nur die Position des neutralen Akademikers, um sich mit allen Frauen zu solidarisieren („unseres reproduktiven Schicksals“). Sie verneint auch ein Interesse der Väter an ihrem „reproduktiven Schicksal“. Das ist ein Sexismus, der sich gewaschen hat und dem man einem Mann niemals durchgehen ließe. Wer das nicht einsieht, braucht sich nur die Reaktionen der Medien vorzustellen, sollte ein männlicher Jurist es wagen, Frauen ein Interesse an ihrem „reproduktiven Schicksal“ abzusprechen.

Zudem wird hier ähnlich wie bei dem Begriff „reproduktive Gesundheit“, der als Code für „Recht auf Abtreibung“ verwendet wird, erneut ein vernebelnder Euphemismus in den öffentlichen Diskurs eingeführt. Nur dass der Begriff diesmal „reproduktives Schicksal“ heißt, was übersetzt so viel meint, wie „das Recht einer Mutter, ihr noch nicht geborenes Kind töten zu lassen“. Und da anscheinend nur Frauen ein „reproduktives Schicksal“ haben, hat ein Vater weder das Recht, sein noch ungeborenes Kind töten zu lassen, noch das Recht, dieses von der Freigabe zur Tötung durch die Mutter zu bewahren was ziemlich genau der geltenden Rechtslage entspricht.

Zwiespältig

Zweifellos stellt die künstliche Gebärmutter einen Meilenstein bei der Behandlung von Frühgeborenen dar und wird ihre Überlebenschancen erheblich verbessern. Allein deshalb ist sie zu begrüßen. Zudem gewönne das Argument der ungebrochenen Kontinuität der Entwicklung vom Augenblick der Zeugung an eine neue Schwungkraft. Denn es ist die eine Sache, einen wissenschaftlichen Prozess beschreiben zu können und etwas ganz anderes, sich diesen Prozess entfalten zu sehen. Die künstliche Gebärmutter würde den moralischen Status des noch nicht geborenen Kindes weit stärker in den Vordergrund rücken, als das bisher gelungen ist. Wir sähen mit bloßem Auge, dass wir es beim Embryo mit einer Person zu tun haben, die wie andere Menschen (nach ihrer Geburt) auch von außen nur Nährstoffe und Sauerstoff braucht, um sich entfalten zu können.

Das heißt selbstverständlich nicht, dass die künstliche Gebärmutter ein vollwertiger oder auch nur wünschenswerter Ersatz für sein natürliches Vorbild wäre. Es gibt eine Vielzahl wichtiger Interaktionen zwischen dem noch nicht geborenen Kind und seiner Mutter, die eine künstliche Gebärmutter nicht ersetzen kann. Diese reichen von chemischen und hormonellen über emotionale, psychologische und kognitive Interaktionen. Aber alle diese Effekte stellen nicht den essentiellen Befund des Personenseins des ungeborenen Kindes in Frage.

Viele neue Herausforderungen

Gleichwohl wird diese Entwicklung viele neue Herausforderungen mit sich bringen. Da eine künstliche Gebärmutter Sexualität und Fortpflanzung weiter entkoppelt, rückt auch die totale Industrialisierung der Reproduktion und mit ihr die komplette Verfügbarmachung des Menschen näher. Und da die drohende Entkräftung des „my body, my choice“-Arguments bereits zu der Forderung eines Rechts der Mutter, Herrin ihres eigenen „reproduktiven Schicksals“ zu bleiben, führt, wird die Auseinandersetzung um das Lebensrecht ungeborener Kinder künftig vermutlich nicht nur ehrlicher, sondern auch härter geführt werden. Lebensrechtler werden die Entwicklung engmaschig beobachten müssen. Oder wie die Amerikaner sagen: „Watch this space“.

Der Autor ist Labormediziner und Vorsitzender des Vereins „Ärzte für das Leben“.

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