Zur Woche für das Leben 2010

Von Dr. Maria Overdick-Gulden, 18.06.2010

Das Motto der diesjährigen „Woche für das Leben“ lautete „Gesunde Verhältnisse“, was Erzbischof Zollitsch dahingehend auslegt, dass „starke Schultern mehr tragen“ müssen als schwache. Das gebiete die Solidarität. Doch dürfe Letztere nicht ausgebeutet werden, so dass „die eigene Vorsorge und das Bemühen, der Gemeinschaft nicht ohne Not zur Last zu fallen“ die Aufgabe jedes verantwortungsbewussten Bürgers sei. Andererseits sei Gesundheit „nicht jederzeit wieder herstellbar. Daher verpflichtet uns das christliche Verständnis vom Menschen dazu, gerade dort die Stimme zu erheben, wo grundsätzlich die Begrenztheit menschlichen Lebens nicht mehr akzeptiert wird, wo die berechtigte Sorge um Gesundheit das Maß verliert und sich in einen medizinisch-biotechnischen Machbarkeitswahn steigert“. Der badische Landesbischof Fischer unterstrich, mit der Woche für das Leben werde verdeutlicht, dass die christliche Kirche ohne die Integration behinderter Menschen nicht für sich in Anspruch nehmen könne, in der Nachfolge Jesu zu stehen.

Beim 19. „Europäischen Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung“ am 05.05.2010 in Fulda erinnerte Dr. Peter Radtke, Mitglied des Deutschen Ethikrates daran, dass es nicht mehr nur um Integration gehe, sondern um die Inklusion aller Bürger in die Gemeinschaft: niemand müsse seine Existenz „durch einen wie immer gearteten Wert für die Gesellschaft“ rechtfertigen! „Während sich bei der Integration die einzelne Person in ein vorhandenes System einpassen muss, bedeutet Inklusion, dass das System von vorneherein so zu gestalten ist, dass es für alle Glieder ein Optimum an Förderung beinhaltet… Nicht der einzelne muss sich dem System anpassen, sondern das System ist auf den Einzelnen auszurichten.“ Es muss offen für jeden sein! Leider sind wir „heute auf dem besten Weg, die Selbstbestimmung des Menschen ad absurdum zu führen“, z. B. durch selektierende Biotechniken aller Art, durch Präimplantationsdiagnostik oder „therapeutisches Klonen“. In diesem Umfeld sind Menschen mit Behinderung „der lebende Protest gegen den Wahn des stromlinienförmigen 08/15- Individuums“, des „08/15-Typen“ und das Zeugnis für die Humanitas, in welcher der Mensch seine Dimension als selbstbestimmtes Individuum behält, selbst wenn er die Selbstbestimmung gar nicht ganz zu nutzen vermag. Seine Würde allein verleiht ihm soziales Ansehen und un-bedingtes Lebensrecht bis zum natürlichen Ende. In der Bundesrepublik leben derzeit etwa 6,6 Millionen Mitbürger mit Schwerbehindertenausweis.

Der italienische Neonatologe und Bioethiker Carlo Bellieni schreibt am 10. Juni im L’Osservatore Romano: Wir „flirten mit der Eugenik“. Unsere Gesellschaft lehne rassische und sexuelle Diskriminierung ab, praktiziere aber immer fleißiger genetische Diskriminierung. Unsere „Behindertenphobie“ führe dazu, Babies mit Verdacht auf Behinderung in großem Stil abzutreiben. Es würden Milliarden für vorgeburtliche Untersuchungen ausgegeben, um eventuelle Behinderungen festzustellen (und „auszumerzen“), anstelle das Geld in die Forschung für die Heilung von behindernden Krankheiten zu investieren.