PM: 16.06.22: „Selektion auf Kasse darf nicht zur Routine werden“ – Ärzte für das Leben e.V. rufen zur Umsicht bei der vorgeburtlichen Gentestung auf

von Michael Kiworr und Paul Cullen für die Ärzte für das Leben e.V.

Am 01. Juli 2022 werden nicht-invasive Pränataltests (NIPT) erstmals in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen aufgenommen. Mittels dieser Methode kann aus einer Blutprobe der Mutter festgestellt werden, ob ihr noch nicht geborenes Kind eine der drei häufigsten chromosomalen Störungen (Trisomie 21 (Down-Syndrom), Trisomie 13 (Patau-Syndrom), Trisomie 18 (Edward-Syndrom)) aufweist. Auch Störungen der Geschlechterchromosomen sowie das Geschlecht des Kinds werden festgestellt, wobei letzteres den Eltern erst nach der 12. Lebenswoche mitgeteilt werden soll.

Ursprünglich war gedacht, diese Testung auf ältere Frauen mit höherem Risiko für ein Kind mit solchen Störungen zu beschränken. Inzwischen aber geht man davon aus, dass allen Schwangeren der Test angeboten wird, was die „falsch-positiv-Rate“ (auffälliges Ergebnis auch bei normalem Chromosomensatz) erheblich erhöhen wird.

Während die seltenen Trisomien 13 und 18 meistens zum frühzeitigen (oft vorgeburtlichen) Tod des Kinds führen, ist die häufigere Trisomie 21 heutzutage in vielen Fällen mit einer fast normalen Lebenserwartung und guten Lebensperspektiven verbunden. Bekannte Persönlichkeiten mit Down-Syndrom wie der Schauspieler Sebastian Urbanski und die Tänzerin Neele Buchholz zeigen wie vermessen und unmenschlich es ist, andere aufgrund einer genetischen Andersartigkeit ihr elementarstes Recht, nämlich das auf Leben, abzusprechen. Dabei zeigen Länder, wo diese Methode länger zur Routine gehört, dass die Feststellung eines Down-Syndroms fast immer zur Abtreibung führt.

So werden heute in Skandinavien kaum noch Down-Kinder geboren. Hierdurch wird der Gedanke normalisiert, die Existenzberechtigung eines Menschen hinge von der Erfüllung wie auch immer gearteten genetischen Ansprüchen ab. Zudem werden nicht nur Selektion und Neo-Eugenik wieder salonfähig, sondern es wird auch implizit die Lebensberechtigung geborener Menschen, die als „behindert“ klassifiziert oder besser gesagt abqualifiziert werden, in Frage gestellt.

Ethische Tragweite des vorgeburtlichen Gentests im Blick behalten

„Die Zuteilung einer Kassenziffer wird oft als moralische Adelung eines medizinischen Verfahrens angesehen“, sagte der Frauenarzt Dr. Michael Kiworr, Mitglied der „Ärzte für das Leben e.V.“, heute in Berlin. „Was kann an einer Methode schlimm sein, wenn die Kasse dafür bezahlt?“, denken sich viele Eltern.

„Es geht aber noch weiter“, sagt Kiworr, „denn gehört ein Test zur Regelversorgung entsteht ein subtiler Druck, diesen auch in Anspruch zu nehmen. Bereits heute sehen sich Eltern von Down-Kindern oft mit dem Vorwurf konfrontiert, „ob sowas noch sein muss“. Und obwohl es noch keine politischen Bestrebungen in die Richtung gibt, wäre es naiv auszublenden, dass irgendwann die Frage aufkommen könnte, ob die Solidargemeinschaft für die medizinische Versorgung eines Menschen mit Down-Syndrom aufkommen muss, dessen Geburt „vermeidbar“ gewesen wäre.“

„Deshalb appellieren wir an unsere Kolleginnen und Kollegen, die ethische Tragweite des vorgeburtlichen Gentests trotz Kassenziffer nicht aus den Augen zu verlieren und vorher mit den Eltern die Implikationen eines auffälligen Testergebnisses ergebnisoffen zu besprechen. Lehnen die Eltern von vorneherein eine Abtreibung ab, so hat der Test meist wenig Sinn. Leider erfolgt diese Aufklärung oft auf unzureichender Weise“, so Kiworr, „so dass Eltern in einen Zugzwang geraten, der mit Ängsten und Unsicherheiten behaftet ist. Zudem muss mit den Eltern besprochen werden, dass ein unauffälliges Testergebnis keine Garantie liefert, dass mit ihrem Kind „alles in Ordnung ist“. Gerade letzteres wird von vielen Eltern angenommen, obwohl der Test natürlich nicht-chromosomale Störungen gar nicht erfassen kann.“

Sensibilisierung der Ärzteschaft ist dringend nötig

„Eine Sensibilisierung der Ärzteschaft ist dringend nötig, denn die Feststellung von chromosomalen Störungen ist nur der Anfang“, so Kiworr. „Mit der Verfeinerung der genetischen Diagnostik wird es bald möglich sein, viele genetische Abweichungen mittels NIPT festzustellen. Eine Rasterfahndung der genetischen Andersartigkeit kann keiner sich wünschen und wäre auch mit der hippokratischen Tradition, die allen Menschen gleichermaßen achtet, nicht vereinbar. Deshalb müssen wir Ärzte wachsam bleiben: Selektion auf Kasse darf nicht zur Routine werden.“

Über Ärzte für das Leben e.V.

Der Verein „Ärzte für das Leben“ fordert eine uneingeschränkte Kultur des Lebens in der medizinischen Praxis und Forschung auf der Grundlage der hippokratischen Tradition. Er finanziert sich ausschließlich über die Beiträge seiner Mitglieder sowie durch Spenden.

Ergänzende Informationen

Antworten auf häufig gestellte Fragen zum NIPT auf Trisomien
Informationen des Gemeinsamen Bundesaussschusses (G-BA)

» ÄfdL-Fachinformationen Präimplantationsdiagnostik (PID) / Gendiagnostik

» ÄfdL-Presemitteilungen