19.03.19: Bündnis fordert: Vorgeburtliche Bluttests auf Down-Syndrom dürfen nicht zur Regeluntersuchung werden
Vorgeburtliche Bluttests, mit denen das Down-Syndrom und weitere Chromosomen-Veränderungen festgestellt werden können, dürfen nicht zur Regeluntersuchung in der Schwangerschaft werden.
Das fordert ein Bündnis aus Bundesvereinigung Lebenshilfe, Deutsches Down-Syndrom InfoCenter, Down-Syndrom Netzwerk Deutschland, KIDS Hamburg (Kompetenz- und Infozentrum Down-Syndrom) sowie downsyndromberlin anlässlich des Welt-Down-Syndrom-Tages am 21. März.
Der Gemeinsame Bundesausschuss von Ärzten und Krankenkassen berät aktuell über die Aufnahme dieser Tests in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen. Auf Grund der ethischen Tragweite soll in Kürze auch eine Orientierungsdebatte im Deutschen Bundestag erfolgen.
„Mit den neuen Methoden der Pränataldiagnostik geraten Eltern von Kindern mit Behinderung immer stärker unter Rechtfertigungsdruck, und bei Menschen mit Behinderung verstärkt sich die Angst, in dieser Gesellschaft nicht gewollt zu sein“, heißt es in einer gemeinsamen Pressemitteilung vom 15.03.19.
Sebastian Urbanski, Berliner Schauspieler mit Down-Syndrom und Mitglied im Bundesvorstand der Lebenshilfe, sagt: „Ich lebe gerne und habe viel Freude am Leben. Ich bin glücklich, weil ich mich als Teil der Gesellschaft fühle und einfach dazu gehöre. Manchmal brauche ich zwar etwas mehr Unterstützung, aber die braucht ja jeder mal. Nur diese Bluttests machen mir und anderen Menschen mit Down-Syndrom wirklich große Sorgen.“
Er findet es gut, dass voraussichtlich im April der Deutsche Bundestag über die gesellschaftlichen und ethischen Folgen der Bluttests debattieren will, bevor der Gemeinsame Bundesausschuss darüber entscheidet, ob diese vorgeburtlichen Untersuchungen gesetzliche Kassenleistung werden.
Die Bluttests dienten aber keiner medizinischen Behandlung. „Sie schaffen nicht einmal Klarheit darüber, ob tatsächlich ein Down-Syndrom vorliegt – etwa jedes fünfte Ergebnis ist fehlerhaft: Die Schwangeren erwarten gar kein Kind mit Down-Syndrom. Wenn ein Down-Syndrom – auch Trisomie 21 genannt – diagnostiziert wird, führt das jedoch in den allermeisten Fällen zur Abtreibung des Kindes“, warnen die Verbände.
Bundesweite Aktionen gegen den Bluttest
Für den Tag der ethischen Orientierungsdebatte im Bundestag fordert das Bündnis zu bundesweiten Aktionen auf, mit denen die Perspektive von Menschen mit Behinderung und ihren Familien deutlich werden soll: Ein Leben mit Down-Syndrom kann so glücklich und erfolgreich sein wie jedes andere auch.
Darüber hinaus wollen Menschen mit Down-Syndrom und ihre Familien die Bundestagsabgeordneten in ihren Bürgersprechstunden besuchen und darauf aufmerksam machen, welche Folgen eine breite Anwendung der Bluttests haben kann – für Menschen mit Down-Syndrom wie für die Gesellschaft insgesamt.
Außerdem wurden zwei Petitionen gestartet: „Petition gegen den Bluttest auf Down Syndrom als Kassenleistung“ und „Menschen mit Down-Syndrom sollen nicht aussortiert werden!“ von Natalie Dedreux.
Gemeinsame Stellungnahme von 27 Organisationen
Anlässlich des Welt-Down-Syndrom-Tags am 21.03.2019 haben unterdessen 27 Organisationen eine gemeinsame Stellungnahme „JA“ zur Vielfalt des menschlichen Lebens! veröffentlicht. Darin sprechen sie sich gegen die Krankenkassenfinanzierung von Bluttests auf genetische Abweichungen (NIPT – Nicht Invasive Pränatale Tests – aktuell vorrangig auf Trisomie 21) aus.
Natalie Dedreux (20) lebt mit Down-Syndrom und engagiert sich aktiv für die Rechte von Menschen mit Behinderung. „Wir wollen nicht abgetrieben werden. Das Leben mit Down-Syndrom ist cool. Die Welt soll aufhören, Angst vor uns zu haben“, erklärte sie laut Pressemitteilung der Lebenshilfe.
Die unterzeichnenden Organisationen fordern statt der Finanzierung eines Tests zur genetischen Selektion mehr und bessere Beratungsangebote durch die Beteiligung der Behindertenselbsthilfe vor, während und nach vorgeburtlichen Untersuchungen.
In der gemeinsame Stellungnahme fordern die Organisationen deshalb Aufklärung über das Leben mit Beeinträchtigungen, keine Bluttests auf genetische Abweichungen (NIPT) auf Kassenkosten zuzulassen sowie mehr und bessere Beratungsangebote vor, während und nach vorgeburtlichen Untersuchungen mit Beteiligung der Behindertenselbsthilfe.
Den Bluttest auf genetische Abweichungen (NIPT) in den Leistungskatalog der Krankenkassen aufzunehmen bedeutet nach Ansicht der Unterzeichner, die Angst vor Behinderung zu verstärken, die Diskriminierung von Menschen mit Beeinträchtigungen zu verschärfen, Menschen mit Beeinträchtigungen in unserer Gesellschaft als „vermeidbar“ und nicht willkommen zu bewerten. Des Weiteren bedeute dies, die Verpflichtungen der UN Behindertenrechtskonvention nicht zu beachten sowie mit dem Eindruck, dieser Test sei medizinisch sinnvoll, falsche Hoffnungen bei werdenden Eltern zu wecken. Zudem befürchten sie, damit steigenden Druck auf Schwangere „alles zu tun, alles zu testen“ und die Tür für die Kassenzulassung weiterer Tests auf genetische Merkmale zu öffnen.
Die Stellungnahme versteht sich als „ein gemeinsamer Beitrag zur dringend notwendigen gesellschaftlichen Debatte über unser Zusammenleben und Aufklärung über ein Leben mit Beeinträchtigungen.“
Christdemokraten für das Leben (CDL) fordern Inklusion für Menschen mit Down-Syndrom vor und nach der Geburt
Auch von Seiten der Lebensrechtsverbände kam Kritik zum Welt-Down-Syndrom-Tag. Der stellvertretende Bundesvorsitzende der Christdemokraten für das Leben (CDL) und ehemalige Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Hubert Hüppe, fordert das Recht auf Teilhabe für Menschen mit Down-Syndrom in Deutschland endlich umzusetzen. Der Welt-Down-Syndrom-Tag ist seit 2012 von den Vereinten Nationen anerkannt und soll die Forderung nach mehr Teilhabe von Menschen mit Down-Syndrom anmahnen.
„Während in den Medien immer häufiger positiv über das Leben von Menschen mit Down-Syndrom berichtet wird, wird gleichzeitig Ihr Lebensrecht immer mehr in Frage gestellt. Die aktuelle Diskussion um die Krankenkassenfinanzierung der sogenannten ´Nichtinvasiven Pränataldiagnostik(NIPD) erweckt den Eindruck, dass es eine gesellschaftliche Aufgabe der Krankenkassen sei, die Geburt von Menschen mit Down-Syndrom zu verhindern. Mit diesem Verfahren, das aus dem mütterlichen Blut die verschiedene Trisomien und Geschlechtschromosomen feststellen kann, wird die Fahndung nach Menschen mit Behinderungen immer mehr ausgeweitet. Der Druck auf schwangere Frauen, dieses Verfahren anzuwenden, wird damit noch verstärkt“, erklärte Hüppe.
Tatsache sei, dass die Suche nach ungeborenen Kindern mit Down-Syndrom im Mutterleib keinen therapeutischen oder medizinischen Nutzen hat, sonder einzig der Selektion dieser Menschen dient. Deswegen lehne die CDL auch alle anderen pränatalen Selektionsverfahren ab, die keinen therapeutischen Nutzen für das Kind haben. „Dazu gehören auch Verfahren wie die Nackenfaltenmessung, die Fruchtwasseruntersuchung und die Chorionzottenbiopsie. Die Diagnose „Down-Syndro“ während der Schwangerschaft führt in den meisten Fällen zur Tötung des ungeborenen Kindes. Kinder mit Down-Syndrom haben zwar bessere Lebenschancen als je zuvor- aber nur selten werden sie ihnen gewährt“, erklärte Hüppe.
Bewusstseinskampagne für Inklusion vor und nach der Geburt
Das Down-Syndrom sei nicht „heilbar“ und auch keine Krankheit. „Menschen „leiden“ auch nicht an Down-Syndrom sondern höchstens an den Reaktionen anderer und den mangelnden Teilhabemöglichkeiten. Deswegen ist auch ein echter Einsatz für Inklusion notwendig. 10 Jahre nach Gültigkeit der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland (26.03.2009) leben die meisten Menschen mit Behinderungen immer noch in getrennten Lebenswelten. Die Phobie gegenüber Menschen mit Behinderungen wäre geringer, wenn nichtbehinderte Menschen von Anfang an mit Ihnen aufwachsen würden“, kritisierte Hüppe. Die CDL fordert daher von der Bundesregierung eine Bewusstseinskampagne für Inklusion vor und nach der Geburt.
Letztendlich seien aber nicht die Testverfahren alleine für die Situation verantwortlich, sondern ein Gesetz, das zulässt, dass Menschen mit Behinderungen faktisch bis zur Geburt abgetrieben werden dürfen. Dies habe in diesem Jahr der Tod von Tim, dem sogenannten Oldenburger Baby, der seine eigene Abtreibung vor 21 Jahren überlebt hatte, noch einmal brutal vor Augen geführt. „Seit dem hat es noch keine gesetzlichen Veränderungen gegeben, die die Situation wirklich wirksam verändert hätten. Dies widerspricht der UN-Behindertenrechtskonvention, die den Menschen mit Behinderungen ein Recht auf Leben garantiert.“
Bemerkenswert sei, dass auch immer mehr Menschen mit Down-Syndrom selbst sich gegen diese Situation wehren. Dazu gehört u.a. der Schauspieler Sebastian Urbanski, der anlässlich des Gedenktages für die Opfer des Nationalsozialismus im Deutschen Bundestag gesprochen hat. Auf einer Pressekonferenz anlässlich der Vorstellung eines Gutachtens zu NIPD fasste er seine Forderung wie folgt treffend zusammen: „Wir wollen doch nur das, was alle anderen Menschen auch wollen: Wir wollen einfach nur leben“. Dazu gehört auch die junge Frau mit Down-Syndrom, Natalie Dedreux, die in der ARD-„Wahlarena“ die Kanzlerin Angela Merkel fragte, wieso man Babys mit Down-Syndrom bis kurz vor der Geburt abtreiben darf. Auf eine echte Antwort warte sie bis heute.
Weitere Informationen:
Stellungnahme „JA“ zur Vielfalt des menschlichen Lebens!
19.03.19, 2 Seiten im PDF-Format, inklusive Unterzeichnerliste
» Zur ÄfdL-Themerubrik Präimplantationsdiagnostik (PID) / Gendiagnostik