29.07.22: Deutscher Bundestag: Interfraktionelle Arbeitsgruppe Pränataldiagnostik gegründet
Seit dem 1. Juli 2022 werden vorgeburtliche Bluttests auf Trisomien von der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) erstattet. Vor diesem Hintergrund hat ein Zusammenschluss von acht Abgeordneten im Deutschen Bundestag eine interfraktionelle Arbeitsgruppe zur Pränataldiagnostik gegründet.
Gründungsmitglieder sind Michael Brand, Hubert Hüppe und Sabine Weiss von der CDU sowie Stephan Pilsinger (CSU), Pascal Kober (FDP), Sören Pellmann von der Linksfraktion, Corinna Rüffer von Bündnis 90/Die Grünen und Dagmar Schmidt (SPD). „Uns eint die Überzeugung, dass das pränatale Screening auf Trisomie 21, 18 und 13 und andere auf keinen Fall zur Routine in der Schwangerschaft werden darf“, heißt es in einer gemeinsamen Pressemitteilung vom 28.07.22.
„Wir betrachten mit großer Sorge, dass der Trisomie-Bluttest seit dem 1. Juli 2022 von den gesetzlichen Krankenkassen erstattet wird. Manche meinen, die Debatte um Zulassung und Nutzung solcher Screenings sei damit beendet. Das stimmt nicht. Im Gegenteil ist das Thema genauso virulent wie zuvor. Wir stehen erst am Beginn einer besorgniserregenden Entwicklung, weil weitere Tests auf genetische Dispositionen in der Entwicklung sind und vor der Zulassung stehen“, so die Parlamentarier.
Entscheidungen zur Abtreibung nicht in einem gesellschaftlichen Vakuum
Entscheidungen zu einem Schwangerschaftsabbruch fänden nicht „in einem gesellschaftlichen Vakuum“ statt. Persönliche Entscheidungen unterlägen auch gesellschaftlichen Zwängen, Wünschen und (Vor-)Bildern. „Wenn als Grund für die Kostenübernahme allein die Besorgnis ausreicht, ein Kind mit Trisomie zur Welt zu bringen, wird das auf eine flächenmäßige Anwendung der Tests hinauslaufen. Zumal die leichte Verfügbarkeit des Tests diese Sorge befeuern wird – mit einer klaren Botschaft: Ein Leben mit einer Trisomie ist weniger wert, gesellschaftlich weniger erwünscht und Kinder mit Behinderung lassen sich vermeiden.“
Ein Blick nach Dänemark, wo ein Screening auf Trisomien seit 2004 allen Schwangeren als reguläre Vorsorge angeboten wird, zeige die drastischen Folgen: Innerhalb eines Jahres habe sich die Anzahl der neugeborenen Kinder mit Trisomie halbiert, warnen sie.
„Als interfraktionelle Gruppe sind wir der Meinung, dass die Antwort auf diese ethisch hochbrisanten Fragen, die mit der Pränataldiagnostik verbunden sind, nicht einem Verwaltungsgremium wie dem G-BA überlassen werden darf“, heißt es weiter. Darauf habe auch Josef Hecken, unparteiischer Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschuss G-BA, wiederholt hingewiesen und angemahnt, „dass die Entwicklung, Verfügung und Zulassung molekulargenetischer Testverfahren fundamentale ethische Grundfragen unserer Werteordnung berühren, denen sich das Parlament stellen muss.“ Der G-BA ist laut Selbstbeschreibung das höchste Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung im deutschen Gesundheitswesen. Er bestimmt in Form von Richtlinien, welche medizinischen Leistungen die ca. 73 Millionen Versicherten beanspruchen können. Außerdem beschließt er Maßnahmen der Qualitätssicherung für Praxen und Krankenhäuser.
Die Abgeordneten verweisen zudem darauf, dass sich auch der Deutsche Ethikrat im Februar diesen Jahres im Rahmen des „Forums Bioethik“ sehr kritisch zu nichtinvasiven Pränataltests positioniert hat, da zentrale ethische Prinzipien betroffen seien. Konkret Selbstbestimmung und Recht auf Nichtwissen, gesellschaftliche Prägung und Entscheidungsdruck, unser Verständnis von und der Umgang mit Gesundheit, Krankheit und Behinderung sowie die Akzeptanz von Anderssein.
Ethische Fragen ins Parlament zurückholen
„Wir wollen diese Fragen endlich dorthin holen, wo sie zu verhandeln sind: in den Deutschen Bundestag als dem gesetzgebenden und damit normsetzenden Organ unseres politischen demokratischen Systems. Nur dort lässt sich einer Debatte gerecht werden, die den Kern unserer gesellschaftlichen Werte berührt.“ erklärte die Abgeordnetengruppe. „Wir wollen konkrete rechtliche Änderungen bewirken. Insofern sehen wir uns als gesetzgeberischen Aktionskreis und nicht nur als parlamentarischen Gesprächskreis.“
Ziel der gesetzgeberischen Maßnahmen solle es sein, dass pränatale Screenings, die ausschließlich mit einer selektiven Praxis verbunden sind, nicht zu Standarduntersuchungen während der Schwangerschaft werden, sondern die Ausnahme bleiben. Daneben wollen sie die Zulassungsverfahren regulieren. „Diese dürfen nicht einem rein von Angebot und Nachfrage getriebenen Mechanismus folgen“, stellen sie klar.
Um diese Zielsetzung fundiert umsetzen zu können, wollen die Parlamentarier regelmäßig externe Fachexpertise einbeziehen. „Der zivilgesellschaftliche Input von Betroffenenkreisen ist für unsere Arbeit maßgebend. Hand in Hand mit den Fachleuten aus Praxis und Wissenschaft werden wir Gesetzesänderungen zur Abstimmung bringen, die eine auf Selektion ausgerichtete Pränataldiagnostik zur Ausnahme, nicht zur Regel machen“, erklärten sie abschließend.
Ergänzende Informationen:
Antworten auf häufig gestellte Fragen zum NIPT auf Trisomien
Informationen des gemeinsamen Bundesausschuss G-BA
Bluttests auf Down-Syndrom als Kassenleistung
Interview mit Prof. Paul Cullen, Vorsitzender der Ärzte für das Leben e.V. (ÄfdL)
radio horeb 01.07.22
„Ärzte für das Leben“ kritisieren kostenfreie vorgeburtliche Gentests
Wenn nicht-invasive Pränataltests als Teil der normalen vorgeburtlichen Versorgung eingestuft würden, sei dies „ethisch bedenklich“, so der Mediziner Paul Cullen.
Die Tagespost 04.07.22
„Selektion auf Kasse darf nicht zur Routine werden“ – Ärzte für das Leben e.V. rufen zur Umsicht bei der vorgeburtlichen Gentestung auf
Pressemitteilung vom 16.06.22
» ÄfdL-Fachinformationen zur Präimplantationsdiagnostik (PID) / Gendiagnostik