06.04.22: Medikamentöse Abtreibungen nachträglich abbrechen
Viele vorgeburtliche Kindstötungen werden heute medikamentös durchgeführt. Doch mithilfe der Einnahme des Hormons Progesteron können sie in einigen Fällen in letzter Sekunde verhindert werden. Dazu eine Einschätzung von Prof. Paul Cullen
Die Abtreibungspille Mifegyne wurde in den 1970er Jahren entwickelt. Der darin enthaltene Wirkstoff Mifepriston hemmt die Wirkung des Hormons Progesteron, das die Schwangerschaft stabilisiert. Mifepriston täuscht dem Körper der Frau vor, nicht mehr schwanger zu sein. Nach der Einnahme verliert der Embryo seine Versorgung und seinen Halt und stirbt ab. Zwei bis drei Tage später wird dann das Medikament Cytotec eingenommen. Dieses führt zu frühzeitigen Wehen mit einem Zusammenziehen der Gebärmutter, wodurch das abgetriebene Kind ausgeschieden wird.
In Deutschland wird die Abtreibungspille etwa seit dem Jahr 2000 in signifikantem Ausmaß eingesetzt – mit steigender Tendenz. Wurden im Jahr 2007 etwa 15 Prozent aller Abtreibungen damit durchgeführt, so ist dieser Anteil auf derzeit etwa 25 Prozent angestiegen.
Auch weltweit nimmt der Anteil der medikamentösen Abtreibungen stetig zu. So werden derzeit über 90 Prozent aller vorgeburtlichen Kindstötungen in Schweden und etwa 85 Prozent aller Abtreibungen in Schottland damit durchgeführt. In den USA beträgt der Anteil derzeit mehr als 40 Prozent.
Ein Grund für die Zunahme medikamentöser Abtreibungen liegt darin, dass ein Arztbesuch hierbei nicht zwingend notwendig ist, da die Abtreibungspille weltweit über das Internet leicht bestellt werden kann. Auch die Weltgesundheitsorganisation unterstützt die Abtreibungspille und hat sie in ihre Liste der wichtigsten Medikamente aufgenommen. In Deutschland darf sie nur unter ärztlicher Aufsicht und Kontrolle eingenommen werden, und zwar bis zur 9. Schwangerschaftswoche, gerechnet ab dem ersten Tag der letzten Regelblutung. Zu diesem Zeitpunkt ist das Kind etwa 11 Wochen alt.
Kinder auch nach Einnahme der Abtreibungspille retten
Progesteron wird seit den 50er Jahren verwendet und dient bis heute der Standardbehandlung bei der Verhinderung von Früh- und Fehlgeburten. Außerdem wird es bei der künstlichen Befruchtung verwendet, um das Einnisten des Embryos in die Gebärmutter zu fördern.
In Tierversuchen war Progesteron in der Lage, die Wirkung von Mifepriston zu unterbinden. Diese Ergebnisse führten zu ersten Testreihen an Menschen, die gezeigt haben, dass Progesteron, das innerhalb der ersten 72 Stunden nach der Mifepriston-Gabe eingenommen wurde, in etwa zwei Drittel aller Fälle eine Abtreibung verhindern konnte.
Was für die Zukunft zu erwarten ist
Die Forschungen in diesem Bereich haben zur Entwicklung von Behandlungsschemata geführt, bei denen durch frühzeitige Gabe von Progesteron die Wirkung der Abtreibungspille zumindest in einigen Fällen unterbunden werden kann. Hierfür gibt es einen wachsenden Bedarf einerseits durch die zunehmende Zahl der medikamentösen Abtreibungen, andererseits durch die Tatsache, dass nach Einnahme der Abtreibungspille nicht wenige Frauen Zweifel bekommen, ob dieser Schritt tatsächlich der richtige war.
Es existiert inzwischen ein internationales Netzwerk von Zentren, die diese Behandlung anbieten. In zehn US-Bundesstaaten sind Ärzte, die die Abtreibungspille anbieten, dazu verpflichtet, Frauen auf die Möglichkeit der Progesteron-Behandlung hinzuweisen.
Es ist deshalb wenig überraschend, dass diese Behandlung von Abtreibungsbefürwortern inzwischen vehement bekämpft wird. So im Falle des katholischen Frauenarztes Dermot Kearney in England, der von der dortigen Ärztekammer wegen Verschreibung von Progesteron zur Unterbindung von medikamentösen Abtreibungen zeitweilig von der Ausübung seines Berufs ausgeschlossen wurde. Die Untersuchung durch die Ärztekammer wurde durch eine Beschwerde von „Mary Stopes International“, dem englischen Pendant zu ProFamilia in Deutschland, eingeleitet. Erfreulicherweise konnten die Vorwürfe gegen Kearney Anfang März 2022 zurückgewiesen werden, so dass er diese Behandlung jetzt wieder anbieten darf.
In Deutschland ist die Anti-Abtreibungsbehandlung mit Progesteron noch nicht flächendeckend etabliert. Ein Grund hierfür war eine Unsicherheit bezüglich der rechtlichen Situation und das schwebende Verfahren in England. Doch dank des jüngsten Urteils kann dieses Thema von der Lebensrechtsbewegung zeitnah wieder aufgegriffen werden.
Der Autor, Prof. Paul Cullen (Münster), ist Vorsitzender der Organisation „Ärzte für das Leben e.V.“.
Der Artikel ist erschienen bei IDEA am 05.04.2022
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