27.02.20: Pressemitteilung Liga „Ärzte in Ehrfurcht vor dem Leben“ zum Bundesverfassungsgericht-Urteil vom 26.02.20 zur Suizidbeihilfe

«Es bedarf einer unheimlichen Antriebskraft, um den Selbsterhaltungstrieb auszuschalten. Nur eine hochgradige, dynamische Einengung, also ein gefühlsmässiger Vorgang, niemals aber bloss rationale ‹Überlegung› vermag diese freizusetzen. […] Aus dem Gesagten ergibt sich auch, wie unhaltbar, ja verhängnisvoll irreführend das im Deutschen oft als Synonym für Selbstmord gebrauchte Wort ‹Freitod› eigentlich ist. Nicht nur wird damit ein Tatbestand falsch beschrieben, sondern diese falsche Qualifikation hat auch für den Zuhörer und Beobachter verhängnisvolle Folgen: Er ist geneigt, den ‹freien Willen› des Täters zu respektieren, fühlt sich berechtigt, ja sogar verpflichtet, untätig zu bleiben und nicht einzugreifen, um jedem ‹seinen Willen zu lassen› […].»

E. Ringel, Selbstmord, Appell an die anderen, Chr. Kaiser Verlagshaus, Gütersloh, 1989, S. 18

„Leiden lindern ist ohne Töten möglich!“1

Standesrechtliches Tötungsverbot für Ärzte ist verfassungskonform

Ärzte in Ehrfurcht vor dem Leben - ÄrzteLigaDas Bundesverfassungsgericht verkündete am 26.2.2020 ein erschütterndes und beispielloses Urteil zur Suizidbeihilfe, das tief in die elementaren Grundlagen unseres menschlichen Zusammenlebens eingreift.

Im Urteil wird ein neues Recht auf Selbsttötung postuliert, das ein Recht auf assistierten Suizid einschließt. Dieses Recht wird aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und der Würde des Menschen abgeleitet und soll uneingeschränkt für jedermann gelten, solange seine Entscheidung als „selbstbestimmt“ bewertet werden könne. Es bestehe in jeder Phase menschlicher Existenz unabhängig von schweren oder unheilbaren Krankheitszuständen. Von wem und auf welche Weise die Freiverantwortlichkeit eines Suizidwunsches und die Motive des Suizidhelfers überprüft werden sollen, wird nicht konkretisiert.

Bei der Urteilsfindung waren für die Richter die ungünstigen Erfahrungen in Nachbarländern, die fatalen Erfahrungen aus der deutschen Geschichte, die Warnungen aus der Suizidforschung sowie die Fortschritte in der Palliativmedizin nicht entscheidend. Gerade in einer höchst vulnerablen Phase menschlichen Lebens, in der sich ein Suizidwilliger fast immer befindet, wird bei der Abwägung der Rechtsgüter einseitig auf das Selbstbestimmungsrecht fokussiert.

Auch fiel nicht ins Gewicht, dass Suizidalität, ausgehend vom aktuellen medizinischpsychiatrischen Verständnis, in den allermeisten Fällen Symptom einer psychischen Erkrankung beziehungsweise mit einer psychosozialen Krise verknüpft ist, und der Suizidwunsch in aller Regel vorübergehender Natur ist.

Außerdem war nicht entscheidend, dass der Mensch von Natur aus in jeder Lebensphase auf seinen Mitmenschen angewiesen ist und eine Einschränkung unserer Autonomie oder Selbstbestimmung darin nicht begründet liegt. Menschliche Autonomie ist nicht absolut denkbar, sondern immer eine Autonomie in Beziehung zum Mitmenschen. Das Gegenüber kann den Suizidwunsch des Suizidwilligen folglich immer auch in die eine oder andere Richtung beeinflussen.

Jeder Arzt ist nun aufgefordert sich der Frage zu stellen, ob er seine Existenz in den Dienst des Todes oder in den Dienst des Lebens stellen will. Durch das neue Urteil werden wir nicht zum ärztlich assistierten Suizid gezwungen.

Der Arzt, der seinem Gewissen entsprechend eine Suizidbeihilfe ablehnt, verstößt nicht gegen das Urteil oder gegen unser Grundgesetz. Die Ärzteschaft kann nach wie vor, ihrem Selbstverständnis entsprechend, den Angehörigen ihres Berufes standesrechtlich die Beihilfe zur Selbsttötung verwehren.

Es ist höchste Zeit, dass wir Ärzte in Deutschland uns positionieren:

Oberstes Gebot ärztlichen Handelns ist es, dem Menschen nicht zu schaden. Ärzte haben die Pflicht, Schmerz und Leid zu beseitigen, nicht aber die Person, die Schmerzen hat und leidet.

Wir fordern – wie bereits Ardis Hoven, ehemalige Vorsitzende des Weltärztebundes – dass wir Ärzte uns nicht an assistiertem Suizid und Euthanasie beteiligen, selbst wenn das nationale Recht dies zulässt oder unter bestimmten Bestimmungen entkriminalisiert. Hierzu haben wir das verfassungsmäßig verbriefte Recht und werden in unserem Standpunkt unterstützt durch die aktuelle Deklaration des Weltärztebundes, die im Oktober 2019 aus intensiven Beratungsgesprächen mit Ärzten und Nichtärzten auf der ganzen Welt hervorging. Der Weltärztebund bekräftigte auf der 70. Generalversammlung in Tiflis, Georgien erneut seinen ablehnenden Standpunkt gegen über Euthanasie und assistiertem Suizid und betont sein starkes Bekenntnis zu den Grundsätzen ärztlicher Ethik und die Forderung nach höchstem Respekt vor dem menschlichen Leben.

Die Forderung nach Beibehaltung des Tötungsverbot für Ärzte in hippokratischer Tradition sollten wir unbedingt verteidigen: Um der Menschen Willen, die in einer verletzlichen Lebensphase stehen, um ihrer Angehörigen Willen und um unser aller Willen, um eine Kultur des Beistandes und der Sorge in sozialer Verbundenheit und Solidarität leben zu können.

„Der assistierte Suizid löst kein humanitäres Problem unserer Gesellschaft; er schafft stattdessen Unsicherheit und Angst, er zerstört die Solidarität der Menschen im Angesicht von Leid und Endlichkeit unseres Daseins. Lassen wir uns von dem scheinbar rationalen Kalkül eines kontrolliert herbeigeführten Todes nicht blenden. Wir brauchen keine mitleidigen Todeshelfer sondern mitfühlende Lebenshelfer.“2

Über die Liga der Ärzte in Ehrfurcht vor dem Leben

Im November 2015 wurde das Gesetzgebungsverfahren zum assistierten Suizid (§ 217 StGB) abgeschlossen. Voran ging eine monatelange Diskussion in der Öffentlichkeit darüber, ob ein Arzt sich an der Selbsttötung eines Menschen beteiligen darf. Allein diese Diskussion richtet im Gemüt der Menschen einen großen Schaden an und beschädigt speziell das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient. Es widerspricht zutiefst dem seit 2400 Jahren gültigen ärztlichen Ethos und der Menschlichkeit eines jeden, einem leidenden Menschen Beihilfe zum Suizid zu leisten. Der Arzt ist Beschützer des Lebens, er darf nicht zur Gefahr für das Leben seiner Patienten werden.

Um gemeinsam daran mitzuwirken, dass das ärztliche Ethos in der hippokratischen Tradition erhalten bleibt, hat sich im November 2015 die Liga der Ärzte in Ehrfurcht vor dem Leben gegründet.

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1) Sitte, Thomas, Deutsche Palliativ-Stiftung, boerse-online.de 26.2.2020

2) Axel W. Bauer, „Die vermeintlich zwingenden ökonomischen Hintergründe des assistierten Suizids und ihre humane Überwindung“, Broschüre des Arbeitsbündnisses „Kein assistierter Suizid in Deutschland!“, herausgegeben anlässlich des Weltpsychiatriekongresses in Berlin, Oktober 2017

Webseite „Ärzte in Ehrfurcht vor dem Leben“