12.04.19: NIPD-Debatte: Seltsame Bettgenossen
Bei der geplanten Aufnahme der nicht-invasiven vorgeburtlichen Gentestung in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen werden die Argumente der Lebensrechtsbewegung von ungewohnter Seite übernommen.
Gastkommentar von Paul Cullen, erschienen auf kath.net, 12.04.19
Auch haben wir bei der Entwicklung von kostengünstigen sogenannte NIPD-Tests, die mittels einer einfachen Blutuntersuchung der Mutter die genetische Ausstattung des noch-nicht geborenen Kindes bestimmen lassen, von einer neuen Qualität gewarnt. Zum einen wird hiermit zum ersten Mal die lückenlose Rasterfahndung auf Abweichungen wie das Down-Syndrom technisch und wirtschaftlich möglich. Zum anderen ist das derzeit verfügbare Spektrum der getesteten Abweichungen erst der Anfang: mit zunehmender Verfeinerung der Technik werden zunächst Erkrankungen wie erblicher Muskelschwund (Muskeldystrophie), Bluterkrankheit (Hämophilie) oder Mukoviszidose, die durch Defekten in einzelnen Genen verursacht werden, erkennbar werden; danach dürften Untersuchungen auf sogenannte Risikogenen für Erkrankungen wie Zucker-Diabetes, Fettstoffwechselstörungen oder Brustkrebs an der Reihe sein.
Aktivierung der Moral
All dies half nichts. Auch Hinweise auf den offensichtlichen Widerspruch zwischen der Forderung nach Inklusion einerseits und der nach Selektion andererseits, oft aus derselben politischen Ecke, fielen auf taube Ohren. Nichts, was das vermeintliche „Recht“ einer schwangeren Frau, über Leben oder Tod ihres noch-nicht geborenen Kinds zu entscheiden in Frage stellen könnte, dürfte im juste Milieu der Talkshow-Gesellschaft Fuß fassen.
Dann kam die Diskussion um die Aufnahme des NIPD in das Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen, und auf einmal war der Knoten geplatzt. Seltsam – nicht die Sache an sich, sondern erst seine Verortung im wirtschaftlichen Koordinatensystem der materialistisch Denkenden, führte zur Aktivierung der Moral. Ähnlich war übrigens in der Debatte um assistierte Sterbehilfe zu beobachten, wo nicht die Sterbehilfe an sich, sondern erst seine Kommerzialisierung, Empörung hervorrief.
So ist auf der einen Seite die radikale – man möchte fast sagen rabiate – Haltung der Freien Demokraten (FDP) sichtbar geworden, die mit dem Bild eines Babys mit Down-Syndrom im Arm seiner Mutter auf Twitter für dessen Ausselektieren auf Kassenschein warben. Auch der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland und selbst der Vorsitzender des Deutschen Ethikrats Prof. Peter Dabrock warben für die Kassenzulassung, Dabrock mit dem verräterischen Argument, man dürfe „kein Exempel auf Kosten der Ärmeren statuieren“.
Flankenschutz von ganz ungewohnter Seite
Auf der anderen Seite erhielten die Lebensrechtler Flankenschutz von ganz ungewohnter Seite. So warnte beispielsweise Prof. Alexander Scharf, Präsident des Berufsverbandes der niedergelassenen Pränatalmediziner, eines Berufzweigs also, dessen Geschäftsmodell gleichsam auf die vorgeburtliche Diagnostik basiert, in der „Welt am Sonntag“ am 7. April, dass der NIPD-Test auf Down-Syndrom nur ein „Türöffner“ sei, Anfang einer Entwicklung also, an deren Ende man „schnell beim Designerbaby“ ist.
Noch interessanter war ein Artikel der feministischen Journalistin Kirsten Achtelik, laut eigener Webseite eine bekennende Kritikerin der „Abtreibungsgegner*innen und „Lebensschutz“-Bewegung“, in der Januar Ausgabe der Zeitschrift „Der Hausarzt“. Achtelik kritisiert, die Finanzierung des NIPD-Tests durch die Krankenkasse fordere die „Angst vor Behinderung“, und schüre die „behindertenfeindliche und ableistische“ Vorstellung, diese sei mit „Leiden und Schmerzen für alle Beteiligten verbunden“. Auch haben im Oktober 2018 mehr als hundert Parlamentarier von Union, SPD, FDP, Grünen und Linkspartei vor möglichen Folgen einer Kostenübernahme des NIPD-Tests durch die Krankenkassen gewarnt: „wir gehen … davon aus, dass sich immer mehr werdende Eltern für solche Tests entscheiden werden, sollten sie als Regelversorgung etabliert werden und damit diejenigen immer stärker unter Rechtfertigungsdruck geraten, die sich gegen einen Test und gegebenenfalls für die Geburt eines Kindes mit Down-Syndrom entscheiden“, heißt es in ihrem Positionspapier.
„Ihr hättet uns fragen könne, das haben wir schon immer gesagt“, könnte der Lebensrechtler vor so viel unerwarteter Zustimmung denken. So verständlich diese Reaktion wäre, so unangebracht wäre sie auch. Wir sollten froh sein, wenn das Bedenken gegen diese zutiefst menschenfeindliche Technologie sich in der Gesellschaft breit macht, auch wenn es durch die Hintertür des wirtschaftlichen Denkens hineinschleichen musste.
Prof. Dr. Paul Cullen ist der Vorsitzende des Vereins „Ärzte für das Leben“.
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