08.06.19: Stellungnahme zu Eizellspende, Embryospende, Leihmutterschaft: Nationalakademie Leopoldina und Akademien-Union empfehlen ein zeitgemäßes Fortpflanzungsmedizingesetz
Die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina und die Union der deutschen Akademien der Wissenschaften streben eine umfassende Neuregelung zur Fortpflanzungsmedizin in Deutschland an.
In einer am 04.06.19 veröffentlichten Stellungnahme „Fortpflanzungsmedizin in Deutschland – für eine zeitgemäße Gesetzgebung“ sprechen sich die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina und die Union der deutschen Akademien der Wissenschaften deswegen für ein neues Fortpflanzungsmedizingesetz aus. Bislang gibt es nur das Embryonenschutzgesetz von 1990.
Die rechtliche Regelung der Fortpflanzungsmedizin sei dringend reformbedürftig. Das Embryonenschutzgesetz erfasse die neuesten technischen Entwicklungen nicht, sei in manchen Bereichen „unstimmig und lückenhaft“, setze die betroffenen Frauen, Paare und Kinder unnötigen gesundheitlichen Risiken aus, erschwere „paradoxerweise die Durchsetzung von Kinderrechten“ und erzeuge „Gerechtigkeitsprobleme und Rechtsunsicherheit“ für die betroffenen Paare und die behandelnden Ärztinnen und Ärzte.
Das knapp 30 Jahre alte Embryonenschutzgesetz enthalte zudem nur strafrechtliche Verbote. „Diese erlauben keine angemessene Reaktion auf die medizinische Entwicklung und den gesellschaftlichen Wandel und werden der Komplexität der Materie nicht gerecht. Diese Probleme müssen gelöst werden. Der Bundesgesetzgeber verfügt seit mehr als 20 Jahren über die Kompetenz zur Regelung der Fortpflanzungsmedizin. Er sollte in der kommenden Legislaturperiode ein umfassendes Fortpflanzungsmedizingesetz schaffen“. Heißt es in der Zusammenfassung der Stellungnahme
Für das Papier hat sich eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe der Leopoldina und der Akademien-Union mit den medizinischen, rechtlichen und ethischen Fragen der Fortpflanzungsmedizin beschäftigt. Besonderes Augenmerk widmen die Autorinnen und Autoren der Aufklärung und Beratung einschließlich der psychosozialen Beratung der betroffenen Paare sowie der Organisation und Finanzierung der Fortpflanzungsmedizin.
Die 124-seitige Stellungnahme liefert eine umfassende Bestandsaufnahme der fortpflanzungsmedizinischen Praxis und ihrer medizinischen, ethischen und rechtlichen Herausforderungen. Aufbauend darauf werden die Grundgedanken und zentralen Aspekte einer zukünftigen gesetzlichen Regelung dargelegt. Es werden konkrete Regelungsvorschläge für gängige fortpflanzungsmedizinische Verfahren einschließlich der Eizellspende, der Samenspende, der Embryospende und der Präimplantationsdiagnostik unterbreitet. Für die Leihmutterschaft werden akuter Regelungsbedarf und langfristige Handlungsoptionen aufgezeigt.
Konkrete Regelungsvorschläge für ein Fortpflanzungsmedizingesetz
Folgende Punkte werden in der Stellungnahme als besonders regelungsbedürftig benannt:
Erster Punkt betrifft den Elective Single-Embryo-Transfer: Hierbei wird aus einer größeren Zahl von Embryonen geplantermaßen nur derjenige mit der größten Entwicklungsfähigkeit ausgewählt und nur dieser der Frau übertragen. Dieses in vielen Ländern angewendete Verfahren vermeide risikobehaftete und gesundheitsgefährdende Mehrlingsschwangerschaften, ohne die individuelle Chance auf eine Schwangerschaft nennenswert zu verringern. Dieses Vorgehen sei in Deutschland jedoch bei Strafe untersagt.
Einen Widerspruch sehen die Verfasser auch darin, dass die Samenspende in Deutschland erlaubt, die Eizellspende dagegen verboten ist. „Während also infertile Männer mithilfe einer Keimzellspende eine Familie gründen können, ist dies Frauen, die etwa infolge einer Krebserkrankung keine eigenen Eizellen mehr bilden können, verwehrt. Diese Ungleichbehandlung lässt sich schwerlich rechtfertigen.“ Aufgrund der Gesetzeslage sähen sich viele Paare veranlasst, eine Eizellspende im Ausland in Anspruch zu nehmen. Dort werde oft die anonyme Spende praktiziert. Dadurch bleibe dem Kind das verfassungsrechtlich verbriefte Recht auf Kenntnis seiner Abstammung versagt. Insofern beeinträchtige das Verbot der Eizellspende in Deutschland indirekt das Kindeswohl.
Embryospende, Leihmutterschaft, Kryokonservierung von Eizellen, Finanzierung
Bezüglich einer Embryospende erlaube das geltende Recht dies in Ausnahmefällen. Eine klare gesetzliche Regelung für die Spende und den Empfang gespendeter Embryonen fehle allerdings. Insbesondere die familienrechtlichen Implikationen bedürfen nach Ansicht der Fachgesellschaften einer klaren Regelung.
Besonders schwierige ethische und rechtliche Fragen werfe die in Deutschland verbotene Leihmutterschaft auf. Hier bestehe in jedem Fall Regelungsbedarf für die im Ausland von einer Leihmutter geborenen, jedoch in Deutschland aufwachsenden Kinder.
Weiteres Problem sehen die Fachleute in der Kryokonservierung von Eizellen an vielen fortpflanzungsmedizinischen Zentren. Dies geschehe zum Beispiel aus medizinischen Gründen, etwa vor einer Chemotherapie. „Im Interesse der Frau, des Paares und des zukünftigen Kindes sollten die Rahmenbedingungen für die Aufbewahrung, Befruchtung und Übertragung geregelt werden“, so die Forderungen.
Bezüglich der Erstattung von Kosten für fortpflanzungsmedizinische Maßnahmen sei eine Beschränkung der Finanzierung bei gesetzlich versicherten Paaren auf Ehepaare sowie auf enge Altersgrenzen „medizinisch und gesellschaftlich kaum zu rechtfertigen“. Die nur teilweise Erstattung der erheblichen Kosten der Behandlungen schaffe zudem „soziale Ungerechtigkeiten“.
Der Bundesverband Reproduktionsmedizinischer Zentren Deutschlands e.V. (BRZ) teilte in einer Presseaussendung mit, er unterunterstütze uneingeschränkt den Vorschlag und die Forderung nach einem Fortpflanzungsmedizingesetz für Deutschland.
Weitere Informationen:
Fortpflanzungsmedizin in Deutschland – für eine zeitgemäße Gesetzgebung
Gemeinsame Stellungnahme Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina und der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften
Veröffentlicht am 04.06.19
Zur Themenrubrik Präimplantationsdiagnostik (PID) / Gendiagnostik