10.11.18: „Orientierung für eine ethische Urteilsbildung“: EKD veröffentlicht Beitrag zur Debatte um Nicht-invasive Pränataldiagnostik
Die Kammer für Öffentliche Verantwortung der Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) unter dem Vorsitz von Reiner Anselm hat am 02.11.18 den Text „Nichtinvasive Pränataldiagnostik – Ein evangelischer Beitrag zur ethischen Urteilsbildung und zur politischen Gestaltung“ veröffentlicht.
In dem 44-seitigen Papier spricht sich die EKD dafür aus, Maßnahmen der Nicht-invasiven Pränataldiagnostik bei Risikoschwangerschaften umfassend in die gesellschaftliche Verantwortung einzubetten. Dazu plädiert sie dafür, diese Form der Pränataldiagnostik künftig in den Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung aufzunehmen. Zugleich soll das Angebot einer umfassenden ethischen und psychosozialen Beratung als Bestandteil der gemeinschaftlich finanzierten Mutterschaftsvorsorge vorgesehen werden. So soll Schwangeren ermöglicht werden, eine eigenständige, abgewogene Entscheidung treffen zu können, unabhängig von finanziellen Erwägungen oder medizinischen Risiken. Die Kosten einer solchen Beratung, die die besondere Verantwortung der Gesellschaft für den Lebensschutz zum Ausdruck bringen soll, seien ebenfalls von der Gesetzlichen Krankenversicherung zu tragen.
Der Rat der EKD unter dem Vorsitz von Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm hat sich die Empfehlung und ihre ethische Begründung laut Pressemitteilung zu eigen gemacht.
Abgewogene Entscheidung treffen
Frauen, die eine Pränataldiagnostik durchführen lassen wollen, sollen nicht länger auf Fruchtwasseruntersuchungen angewiesen sein. Denn Fruchtwasseruntersuchungen führen nicht selten zu medizinischen Komplikationen und gefährden das Leben des Fötus. Zugleich aber soll die Mutter bzw. sollen die Eltern im Rahmen der Vorsorgeuntersuchungen früh auf die Möglichkeit einer ethischen Beratung hingewiesen werden. Auf diese Weise sollen Schwangere die Möglichkeit erhalten, sich unabhängig von der gynäkologischen Betreuung über die Konsequenzen einer solchen Diagnostik klar zu werden, Ängste und Sorgen zu äußern, von Unterstützungsmaßnahmen zu erfahren und eine abgewogene Entscheidung zu treffen.
Die Kammer tritt nach eigenem Bekunden mit dieser Empfehlung der Annahme entgegen, dass eine Pränataldiagnostik eine erlaubte oder gar sozial erwünschte Praxis sei, die Geburt von Kindern mit bestimmten Merkmalen, in der Regel Trisomien, zu verhindern. Eine durch das Solidarsystem der Gesetzlichen Krankenkassen finanzierte Beratungsleistung verdeutliche, dass eine Entscheidung zur Nutzung dieser diagnostischen Maßnahme von der Mutter bzw. den Eltern getroffen werden muss, diese Entscheidung jedoch in einem gesellschaftlichen Kontext stattfindet, in dem Leben geschützt werden muss.
„Wir möchten den betroffenen Schwangeren die Möglichkeit geben, dass sie eine informierte, verantwortliche und für ihre jeweilige Situation angemessene Entscheidung treffen können. Verantwortlich bedeutet dabei, auch die gesellschaftlichen Auswirkungen, insbesondere für geborene Menschen mit Behinderungen mitzubedenken“, betonte Reiner Anselm.
Die EKD begrüßt, dass der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), der über die Aufnahme der Nichtinvasiven Pränataldiagnostik in den Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenkassen entscheiden wird, zu einem gesellschaftlichen Diskurs über diese Frage aufgerufen hat und sieht diese Empfehlung als ihren Beitrag zu diesem Diskurs.
Kritik des Bundesverband Lebensrecht an der EKD Stellungnahme zu nicht-invasiven Bluttests
Die Bundesvorsitzende des Bundesverband Lebensrecht (BVL) e.V., Alexandra Linder, kritisierte in einer Stellungnahme für die evangelische Nachrichtenagentur idea am 09.11.18 die Empfehlung der EKD, nicht-invasive Bluttests von Krankenkassen finanzieren zu lassen
„Der nicht-invasive Bluttest, mit dem man vor allem Trisomien (und serienmäßig das Geschlecht des Kindes) diagnostiziert, kann früher durchgeführt werden, ist für die Frau leichter und für das Kind ungefährlicher als die Fruchtwasseruntersuchung. Dieses Argument der Bluttest-Produzenten ist korrekt, auch wenn gerne verschwiegen wird, dass eben diese Untersuchung zur Bestätigung einer Diagnose nicht selten doch noch erfolgt. Der Kern auch der schonenderen Untersuchung aber, und das ist die unverändert bestehende ethische Dimension, ist keine Heilungs- oder Behandlungsmotivation in Bezug auf Mutter und Kind, die sinngebend für jede pränatale Untersuchung ist. Das einzige Ergebnis des Bluttests ist die Wahl, ob man das von einer Trisomie betroffene Kind tötet oder auf die Welt kommen lässt“, stellte Linder klar.
Eltern noch mehr unter Druck
Sie fragt: „Warum sollten Krankenkassen, die sich modernistisch „Gesundheitskassen“ nennen, eine Diagnostik zahlen, die zum Beispiel bei Trisomie 21, dem Down-Syndrom, in den allermeisten Fällen zum absichtlich herbeigeführten Tod der Patienten führt? Auf breite, von der Gemeinschaft finanzierte Basis gestellt, würde das gesellschaftlich bedeuten, dass diese Untersuchung mit der anschließenden Tötung der Kinder langfristig als akzeptabel und unterstützenswert angesehen wird. Es würde bedeuten, dass Eltern in dieser Situation noch mehr unter Druck gesetzt werden als bisher schon“, gab die BVL-Vorsitzende zu Bedenken.
„Und wenn man das Szenario unserer kollabierenden Sozialsysteme weiterspinnt: Was jetzt als freiwillig deklariert wird, könnte irgendwann einmal zur Pflicht werden; wer den Test verweigert, muss für eventuelle Folgeschäden dann eben selbst zahlen. All das ist für die Familien keine Hilfe und könnte dazu führen, ihnen auch noch den letzten Rest an Solidarität seitens der Gesellschaft für eine Entscheidung zum Leben zu nehmen“, so Linder.
Ergänzende Informationen:
Nichtinvasive Pränataldiagnostik
Ein evangelischer Beitrag zur ethischen Urteilsbildung und zur politischen Gestaltung
Kammer für Öffentliche Verantwortung der EKD 02.11.18 (44 Seiten, PDF-Format)