Rezensionen

Katz Rothman B., Schöne neue Welt der Fortpflanzung. Texte zu Schwangerschaft, Geburt und Gendiagnostik, Mabuse-Verlag, Frankfurt a. M. 2012, 198 Seiten, 19,90 EUR

Schwangerendiagnostik: ihre Folgen für das Menschenbild

BuchcoverDie Soziologin Barbara Katz Rothman gibt in ihrem Band „Schöne neue Welt der Fortpflanzung“ einen Überblick ihres etwa 40-jährigen beruflichen Engagements. Ihre Themen: der traditionelle Beruf der Hebamme, der medizinische Blick auf Schwangerschaft und Geburt, die Konsequenzen der in USA akzeptierten Gendiagnostik. Ihre Texte seien „als Warnung“ zu verstehen, noch bevor die Pränatale Diagnostik die Welt überflute. Auch wenn einzelne Staaten gesetzliche Regelungen anstrebten, blieben Wissenschaft und der sich daraus entwickelnde Markt dominant.

Die natürliche Geburt mit dem Beistand einer einfühlsam reagierenden Hebamme ist durch die technisierte Medizin weitgehend verdrängt, wie die angestiegene Kaiserschnittrate in den USA zeige. Den Ungeborenen schützten nicht mehr werdende Mütter ‚in guter Hoffnung‘ und ihre traditionellen Begleiterinnen, sondern rationale Arbeitsweisen von Kliniken und deren Angestellten. Angesichts der wissenschaftlichen Revolutionen in Reproduktionsmedizin, Genetik, der Medikalisierung der Schwangerschaft und der Technisierung des Gebärens durch Chirurgie sei ein Paradigmenwechsel eingetreten: Schwangerschaft wird zum Risiko, das man mithilfe von Laborkontrollen an der Frau und immer neuen Tests am Fetus begrenzen will. Das „Hören auf den Körper“, auf die natürlichen Begleitsymptome des “ anderen Umstands“ wird durch standardisierte Tests auf individuelle „Normabweichungen“ ersetzt, sie leiten das Behandeln. Die Aktivität der Frau beim ‚Gebären‘ wird zu ihrer „Entbindung“ durch den Arzt in Passivität umgeformt: die Schwangere ist Patientin.

Wenngleich die Autorin die Wahrnehmung des Embryo als „Mensch und Jemand von Anfang an“ wohl nicht teilt und die Ergebnisse der modernen Embryologie ausklammert, gelingen ihr interessante Sätze wie: „Mütterlichkeit gegenüber dem eigenen Kind oder einem anderen Menschen, dem wir fürsorglich und mütterlich zugetan sind, muss davon ausgehen, dass da ein Gegenüber ist… Wir gehen aus von dem Glauben, dass der oder die andere ein Mensch mit einer inneren Ganzheit und Würde ist. Mit anderen Worten: Wir setzen eine Seele voraus.“ Genetik sieht die Autorin als Ideologie, wenn Gene als „die Hauptakteure des Lebens“ gelten sollen und Genetik „die eine Erklärung, die alles erklärt, die umfassendste Theorie seit Gott“ sein soll. Fasziniert sei sie von Mutterschaft als „physische, leibliche Beziehung ebenso wie als soziale fürsorgliche Beziehung“. „Wir kommen nicht zur Welt… Woher denn auch? Frauen, die gebären, haben nicht das Gefühl, dass das Kind kommt, sondern dass es geht…. Wenn wir geboren werden haben wir schon Monate lang Stimmen gehört, den Rhythmus eines menschlichen Körpers gespürt, waren geborgen im Becken unserer Mutter, gewiegt in ihrem Gang.“

Zur Pränataldiagnostik urteilt die Autorin: Solche Tests seien wissenschaftlich-technische Leistung. Aber es gelte doch: Wer ein Downsyndrom vorhersagt, „erklärt nicht, was ein Downsyndrom ist, und wer das Faktum eines Downsyndroms vorhersagt, sagt nichts über das Leben mit einem Downsyndrom“- wie jeweilige Biografien zeigen. Um moralische Urteile in Genetik und Bioethik zu fällen, müsse man kein technisches Wissen haben. Bei ihren Fortbildungen habe sie gerne an ein „Gen für Humor“ gedacht! Wissen kann blenden und verblüffen; zwischenmenschlich gehe es um Verantwortung. Information wird in den USA hoch geschätzt, was dem Neugeborenenscreening auf Phenylketonurie zum breiten Therapieerfolg verhalf; es wurde gesetzliche Auflage. Danach aber traten Lobbyisten der genetischen Revolution auf den Plan, die immer mehr Tests entwickeln, auch wenn diese nur unsichere Prognosen ohne therapeutische Möglichkeiten bleiben. Dient ein solches Screening etwa der Verhinderung weiterer Kinder in „genetisch belasteten“ Familien: einem staatlichen Eugenikprogramm? Als „geschickter Ausweg“ nach belasteter Geschichte, „ethisch ganz unproblematisch“, wenn „nicht-direktiv beraten“ wird? Das aber führe, so die Soziologin, zur „Schwangerschaft auf Abruf“, in der Frauen sogar die Kindsbewegungen verdrängen, bis das Testergebnis: „gesund“ vorliege: dann erst werde aus dem „Foetus“ das „Baby“!

Präimplantationsdiagnostik wird Menschen mit einer genetischen Störung in den USA routinemäßig angeboten. Inzwischen bedient sie das „Ausbalancieren von Familien“ – bei fruchtbaren Paaren! Ist damit die viel berufene „Wahlfreiheit des Menschen“ an ihr Ziel gelangt? Eine Frage, die uns aktuell gestellt ist. Lesenswert!

Dr. Maria Overdick-Gulden

Veröffentlicht in Lebensforum Nr. 103, 3. Quartal 2012