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Gesetzliche Zulassung von PID bedeutet Wiedereinstieg in eugenische Selektion

Stellungnahme der Ärzte für das Leben e.V. vom 29.11.11

Anlässlich der erfolgten Unterzeichnung des ethisch umstrittenen Präimplantationsdiagnostik-Gesetzes durch Bundespräsident Wulff in der Folge des BGH-Urteils vom 6. Juli 2010, das nun am 8. Dezember 2011 in Kraft treten soll, stellen Ärzte für das Leben e.V. im Sinn hippokratischer Ärzte-Tradition, des jüdisch-christlichen Menschenbildes und der europäischen Aufklärung kritisch fest:

Präimplantationsdiagnostik ist keine Diagnostik, sondern eugenische Selektion. Sie zielt nicht auf Therapie, sondern einzig auf Elektion wahrscheinlich gesunder und die Tötung vermutlich behinderter Menschenembryonen. Sie bedeutet den Wiedereinstieg in Strategien der Exklusion behinderten Menschenlebens aus der menschlichen Gemeinschaft.

Damit steht PID nach unserer Berufsethik und Staatsauffassung im Widerspruch zum Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, das ohne Vorbehalt jeden Menschen in seiner Würde zu schützen und ihn keinem Tötungsverfahren preiszugeben beabsichtigt.

Philosophisch stützen wir uns als Ärzte für das Leben e.V. vorwiegend auf Vernunftgründe und lehnen eine sog. Bioethik von Interessen strikt ab. Wir stützen uns dabei auf die Philosophie Immanuel Kants, die jeden Menschen als Selbstzweck und den ungeborenen Menschenembryo aus dessen personaler Verfasstheit als „Weltbürger“ versteht. Mensch und Person haben dieselbe Extension: die Vernunftnatur des Menschen begründet dessen Personalität. Insofern ist jeder Mensch ab seiner Zeugung, ob natürlich, im Reagenzglas, über ICSI oder als Klon entstanden, allein aufgrund seiner Natur Person.

Aus einem ‚Etwas‘, einer Sache, einer unbefruchteten Eizelle oder einem Zellhaufen wird kein Mensch. Die befruchtete Eizelle ist demgegenüber menschlicher Eigenstand: ein ‚Jemand‘. Diese ontologische Wirklichkeit ist unabhängig vom Urteil anderer Menschen, sei es der Arzt, ein Forscher oder die „Willkür“ der eigenen Eltern. Jeder Mensch ist Träger dieser Menschenwürde. Sie ist präskriptiv, unantastbar, kann nicht zu- oder abgesprochen werden. Wer sie anderen abspricht, verletzt diese im Sein des Menschen begründete, verwurzelte und damit vorgegebene Menschenwürde auch an sich selbst.

Für den Philosophen Max Scheler sind die Begriffe Mensch und Person nicht voneinander zu trennen, da jeder Mensch – und nur der Mensch – ein Aktzentrum ist: „Das Aktzentrum, in dem der Geist innerhalb endlicher Seinssphäre erscheint, bezeichnen wir als Person, im Gegensatz zu allen funktionalen Lebenszentren, die nach innen betrachtet auch ’seelische Zentren‘ heißen (…) Ein geistiges Wesen ist also nicht mehr trieb- und umweltgebunden, sondern ‚’umweltfrei‘ und, wie wir es nennen wollen, ‚weltoffen‘. Ein solches Wesen hat ‚Welt‘.“ „Der Mensch ist das X, das sich in unbegrenztem Maße ‚weltoffen‘ verhalten kann.“

„Die Person im Menschen muss dabei als das Zentrum gedacht werden, das über den Gegensatz von Organismus und Umwelt erhaben ist“, so Max Scheler.

Im Begriff „Mensch“ als „tückischer Zweideutigkeit“ bezieht sich Scheler auf unsere Morphologie, die der des Tieres „untergeordnet“ bleibt. Als Gegensatz zu diesem naturwissenschaftlichen Begriff dient der Wesensbegriff des Menschen, der einen ganz anderen Ursprung hat, mit den Begriffen Geist und Person zusammenhängt und damit die Sonderstellung des Menschen begründet.

Der Mensch ist ein soziales Wesen. Aber er wird nicht erst im Sozialbereich von Eltern, Vorfahren und Mitwelt zum Menschen, sondern wächst unter diesen seinen individuellen Konditionen als Mensch heran, entfaltet sich von seiner Zeugung an, wird durch soziale Faktoren in seiner Entwicklung gefördert oder gehemmt. Doch sein Sein ist die Wurzel seiner Existenz.

Zur Menschenwürde und ihrer Achtung führt der Philosoph Ottfried Höffe aus: „Die Zugehörigkeit zur Gattung Mensch genügt für den Anspruch ihrer Achtung.“

Robert Spaemann: „Würde ist keine empirisch gegebene Eigenschaft.“ Der transzendentale Grund für sie ist: Menschen sind von ihrer Natur her befähigt, aus eigener Einsicht zu handeln. Diese einzigartige Befähigung zur Verantwortung nennen wir Freiheit. Der Mensch ist von seiner Personalität her in keiner Lebensphase als Sklave zu misshandeln. Der Rechtsstaat ist Bürge für die freie Entfaltung des Rechts- und Verantwortungsbewusstseins seiner Bürger.

„Mit dem Du-Sagen begreife ich, dass der andere kein Ding ist, sondern ‚wie ich'“ (F. Rosenzweig). Der Andere, der ‚Nächste‘ ist die Antwort auf die Frage nach mir selbst. Damit ist die Möglichkeit glaubwürdiger Zeugenschaft wie auch meine Verantwortung für denjenigen aufgezeigt, der noch nicht, nicht mehr oder nie ganz selbständig leben kann.

In der Anerkennung des Wertes und der Würde jeder Person liegt ein echter Fortschritt in der Menschheitsgeschichte, so die Instruktion Dignitas personae der Kongregation für die Glaubenslehre aus dem Vatikan vom 8. September 2008. „Gerade im Namen der Förderung der Menschenwürde“ sind nicht nur Verbote von Rassismus und Sklaverei erlassen worden, sondern sind auch „Diskriminierungen und Marginalisierungen von Frauen, Kindern sowie kranken und behinderten Menschen“ staatlich verboten. „Die Rechtmäßigkeit jedes“ solchen „Verbotes gründet auf der Notwendigkeit, ein echtes sittliches Gut zu schützen“. Das Lehr- und Hirtenamt der Kirche fühlt sich verpflichtet, die „grundlegenden, unveräußerlichen Rechte jedes einzelnen Menschen – auch in den Anfangsstadien seiner Existenz – zu bekräftigen und die Forderungen des Schutzes und der Achtung deutlich zu machen, welche die Anerkennung dieser Würde von allen fordert“. Das beinhaltet „den Mut, sich allen Praktiken zu widersetzen, die eine schwerwiegende, ungerechte Diskriminierung gegenüber den noch nicht geborenen Menschen darstelle, welche die Personwürde haben und als Bild Gottes erschaffen worden sind. Hinter jedem „Nein“ erstrahlt in der Mühe des Unterscheidens zwischen Gut und Böse ein großes „Ja“, das die unveräußerliche Würde und den Wert jedes einzelnen unwiederholbaren Menschen anerkennt, der ins Leben gerufen worden ist.“

„Ärzte und die Forscher, die sich dem Dialog öffnen und nach der Wahrheit suchen, werden diese Prinzipien und Bewertungen zu verstehen und zu teilen wissen. Denn sie sind auf den Schutz des gebrechlichen Lebens und auf die Förderung einer menschlichen Zivilisation ausgerichtet.“ (Instruktion Dignitas personae in: Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 183, 2008,S. 52)

Die Dammbruchfunktion der in naher Zukunft in Kraft tretenden PID-Gesetzesregelung kündigt sich bereits an: Die FDP-Abgeordnete und Medizinerin Ulrike Flach will aktuell Eizellspende, Leihmutterschaft und Samenspende von Verstorbenen erlauben.

Mit iVF ist die Tür zum Menschenmissbrauch geöffnet. Dignitas personae stellt 2008 fest, „dass alle Techniken der In-vitro-Befruchtung faktisch so angewandt werden, als ob der menschliche Embryo bloß eine Anhäufung von Zellen wäre, die man gebraucht, selektiert und ausscheidet“ (a.a.O., S. 20).

Die Frage nach dem Rechtsstaat darf, ja muss neu gestellt werden.

Maria Overdick-Gulden