03.05.24: Bundesgesundheitsminister Lauterbach stellt Nationale Suizidpräventionsstrategie vor
Bundesgesundheitsminister Prof.Karl Lauterbach (SPD) hat am 02.05.24 zentrale Empfehlungen zur Umsetzung der Nationalen Suizidpräventionsstrategie vorgestellt.
Konkret geht es darin um eine bundesweite Koordinierungsstelle für Beratungs- und Kooperationsangebote, besondere Schulungen für Fachkräfte in Gesundheitswesen und Pflege sowie die Entwicklung eines Konzepts für eine zentrale deutschlandweite Krisendienst-Notrufnummer.
„Seit gut 20 Jahren nimmt die Zahl der Suizide in Deutschland nicht ab. Rund 10.000 Menschen nehmen sich pro Jahr in Deutschland das Leben. Das Schicksal der Betroffenen, der Angehörigen und Hilfskräfte darf uns nicht egal sein“, erklärte Lauterbach in einer Presseaussendung. „Wir müssen das gesellschaftliche Tabu von Tod und Suizid überwinden, psychische Erkrankungen von ihrem Stigma befreien und Hilfsangebote besser bündeln. Mit der Nationalen Suizidpräventionsstrategie und unseren Umsetzungsplänen wollen wir für zielgenauere Hilfen und Vorbeugung sorgen“, versprach der Bundesgesundheitsminister.
Zentrale Punkte der Nationalen Suizidpräventionsstrategie
In dem Bericht wird die Einsetzung einer zentralen, bundesweiten Koordinierungsstelle für Suizidprävention empfohlen. Diese soll in den kommenden Jahren unter anderem betroffene Menschen, deren Angehörige und Fachkräfte über eine bundesweite Webseite zu dem Thema informieren mit vertieften Informationen zu Hilfeangeboten und zu Angeboten der Suizidprävention.
Des Weiteren soll sie Maßnahmen zur Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen und zur Enttabuisierung der Themen Sterben, Tod und Suizid initiieren, mittelfristig auch über eine Aufklärungskampagne, sowie modellhaft Schulungen für Fachkräfte im Gesundheitswesen und in der Pflege entwickeln. Ziel ist, diese noch stärker für das Thema zu sensibilisieren und im Umgang mit gefährdeten Personen zu schulen und diese verstärkt in die Lage zu versetzen, bei Bedarf effektiv in weitergehende Hilfs- oder Therapieangebote zu vermitteln,
Zudem soll die Koordinierungsstelle für Suizidprävention gemeinsam mit den Ländern ein Konzept für die Etablierung einer zentralen Krisendienst-Notrufnummer erarbeiten. Diese soll Hilfesuchende unmittelbar an die Hilfsangebote der Länder und Kommunen weitervermitteln, ein telefonisches und Online-Beratungsangebot für Angehörige und Fachkräfte einrichten sowie das Monitoring von Suizidversuchen und Suiziden ausbauen.
Darüber hinaus wird empfohlen, „methodenbegrenzende“ Maßnahmen, also die Zugangsbeschränkung zu Mitteln und Orten für einen Suizidversuch, deutlich auszubauen und die Einrichtung eines pseudonymisierten Suizidregisters zu prüfen.
Zum Hintergrund
Die Zahl der in Deutschland jährlich begangenen Suizide konnte laut Bundesgesundheitsministerium bis etwa 2008 deutlich reduziert werden, stagniere aber seither auf dem Niveau von 9.000 bis 10.000 Suiziden. Dreiviertel aller Suizide werden dabei von Männern begangen. Besonders hoch ist die Suizidrate bei betagten und hochbetagten Menschen. Bei zwischen 50 bis 90 Prozent der Suizidopfer lag eine psychische Erkrankung vor, häufig Depressionen, Psychosen, Suchterkrankungen oder Persönlichkeitsstörungen.
Mit Beschluss des Bundestags-Haushaltsausschusses vom 10. November 2022 wurde die Bundesregierung aufgefordert, den Entwurf einer Nationalen Suizidpräventionsstrategie zu erarbeiten und 2024 vorzulegen. Bereits im Koalitionsvertrag hatte die Ampel vereinbart, das Thema Suizidprävention im Kontext eines Nationalen Präventionsplans umzusetzen. Die Nationale Suizidpräventionsstrategie wird dem Bundestags-Haushaltsausschuss zugeleitet.
NaSPro und DASP: Erste Schritte und viele offene Fragen zur Nationalen Suizidpräventionsstrategie
Das Nationales Suizidpräventionsprogramm (NaSPro) und die Deutsche Akademie für Suizidprävention (DASP) begrüßten die Planungen für eine Nationale Suizidpräventionsstrategie ausdrücklich.
„Wir freuen uns, dass in diese Strategie zahlreiche Anregungen aus dem vom Bundesministerium für Gesundheit geförderten Bericht “Suizidprävention Deutschland – aktueller Stand und Perspektiven” eingeflossen sind. Der Bericht wurde 2021 vom NaSPro in Zusammenarbeit mit zahlreichen Expertinnen und Experten erstellt. Heute wurde ein weiterer wichtiger Impuls für die Entwicklung der Suizidprävention in Deutschland gegeben“, heißt es in einer gemeinsamen Pressemitteilung vom 02.05.2024.
Vor der Erstellung der Strategie wurden in verschiedenen Formaten Fachleute und Verbände befragt. Erfreulich sei, dass eine Vielzahl von Ministerien und Interventionsbereichen in die Strategie einbezogen seien. „Weitere Konsultationen von Fachleuten fanden vor Veröffentlichung nicht statt. So wird verständlich, dass “mittelfristig” Konzepte neu entwickelt werden sollen, zum Beipsiel die Vernetzung von Akteuren vor Ort, wo es heute bereits erprobte Konzepte gibt. Die Idee, auf Bestehendem aufzubauen, ist hier genauso wenig zu erkennen wie eine zukünftige auskömmliche Finanzierung bestehender niedrigschwelliger suizidpräventiver Angebote“, kritisierten die Fachorganisationen.
Unklare Zusammensetzung und Struktur der Nationalen Koordinierungsstelle
„Die Zusammensetzung und die Struktur der Nationalen Koordinierungsstelle bleiben unklar. Wir freuen uns, dass die bislang von den Akteuren der Suizidprävention erbrachten Leistungen anerkannt werden. Wir würden es begrüßen, wenn sich diese Wertschätzung auch am aktiven Einbezug der Akteure an der weiteren Entwicklung der Strategie ausdrücken würde“, heißt es weiter.
Sie bedauern allerdings, dass der Vorschlag eines breiten Kreises von Verbänden zur Einrichtung einer bundesweit einheitlichen Rufnummer für suizidale Menschen, nahestehende Personen und Helfende nicht aufgenommen worden sei. „Ein funktionierendes analoges Konzept einer solchen Rufnummer, welche die Hilfesuchenden und Helfenden in Verbindung bringen kann, existiert bereits erfolgreich mit dem Hilfetelefon “Gewalt gegen Frauen”. Es kann, bei entsprechender Finanzierung, unmittelbar per Bundestagsentscheid sofort auf den Weg gebracht werden.“
Unklare Finanzierung niedrigschwelliger Hilfen und der Suizidprävention insgesamt
Unklar bleibe auf dem gegenwärtigen Stand auch die Finanzierung niedrigschwelliger Hilfen und der Suizidprävention insgesamt. Die Strategie verweise u.a. auf die Haushaltslage und die Kompetenz des Bundes und der Länder. Welche Mittel zum Erhalt bestehender Angebote zur Verfügung stehen und mit welchen Mitteln die Länder gefördert werden können, gehe aus dem Papier jedoch nicht hervor.
„Um so dringlicher ist es, dass die Finanzierung und Förderung der Suizidprävention in die Anfang Juni beginnenden Haushaltsberatungen für 2025 aufgenommen wird. Erster Schritt wäre die Etablierung einer bundesweiten Rufnummer und ein Bundesförderprogramm zur Entwicklung der Suizidprävention in Deutschland“, fordern das NaSPro und die DASP abschließend in der ersten Einschätzung. Eine ausführliche Einschätzung wollen sie zusammen mit anderen Expert:innen auf einem späteren Pressegespräch erläutern.
DHPV: Hospizarbeit und Palliativversorgung dringend bei der Suizidprävention mitdenken
Auch der Deutsche Hospiz- und PalliativVerband (DHPV) begrüßte die jetzt vorgestellten Pläne für eine Nationale Suizidpräventionsstrategie. Der Fachverband zeigte sich aber irritiert über die mangelnde Berücksichtigung des suizidpräventiven Potenzials von Hospizarbeit und Palliativversorgung.
„Wir möchten noch einmal dringend darauf hinweisen, dass der Hospizarbeit und Palliativversorgung mit Blick auf die Suizidprävention eine wichtige Aufgabe zukommt“, erklärte Prof. Winfried Hardinghaus, Vorsitzender des DHPV in einer Presseaussendung vom 03.05.24.
Die hospizliche und palliative Praxis zeige: Menschen mit schweren, lebensverkürzenden Erkrankungen nehmen in der Regel von geäußerten Suizidwünschen Abstand, wenn sie sich gut begleitet und versorgt wissen. Dazu gehöre auch, dass für alle Menschen, die auf Pflege angewiesen sind, eine ihren Wünschen und Bedürfnissen entsprechende Versorgung zur Verfügung steht.
„Hier müssen die Rahmenbedingungen weiter verbessert werden, auch damit Mitarbeitende in Pflegeheimen eine ausreichende palliative und würdige Begleitung von Bewohnerinnen und Bewohnern gewährleisten können“, so Hardinghaus. „Und auch die Angebote für trauernde Menschen müssen weiter ausgebaut und verlässlich finanziert werden, denn auch Trauerarbeit wirkt suizidpräventiv.“
Diese Punkte sind laut DHPV vor allem auch mit Blick auf eine weiterhin fehlende gesetzliche Regelung der Suizidbeihilfe von großer Bedeutung. Seit das Verbot der organisierten Suizidhilfe 2020 durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gekippt wurde, fordert der DHPV, dass die gesetzliche Regelung der Suizidprävention der Regelung der Suizidbeihilfe vorausgehen muss.
„Diesem Ziel sind wir mit der nun vorgelegten Umsetzungsstrategie zur Suizidprävention in Deutschland einen Schritt nähergekommen, zumal dort auch empfohlen wird, die Rahmenbedingungen auch in einem Suizidpräventionsgesetz zu regeln“, so Hardinghaus. „Wir plädieren dringend dafür, dass der Bundesgesundheitsminister in diesem Gesetz die besonderen suizidpräventiven Potenziale der Hospizarbeit und Palliativversorgung mitdenkt und entsprechend verankert.“
Weitere Informationen:
Nationale Suizidpräventionsstrategie
Bundesministerium für Gesundheit, 30.04.24 (29 Seiten, PDF-Format)
Umsetzungsstrategie zur Suizidprävention in Deutschland
Bundesministerium für Gesundheit, 02.05.24 (6 Seiten, PDF-Format)