24.06.21: Ungeachtet aller Proteste: Matic-Bericht im EU-Parlament angenommen
Die Abgeordneten des Europaparlaments haben nach einer Debatte am 23.06.21 den umstrittenen sogenannten Matic-Bericht in einer Abstimmung am 24.06.21 mehrheitlich angenommen.
In der angenommenen Entschließung werden die EU-Länder aufgefordert, die „sexuelle und reproduktive Gesundheit“ und damit verbundene Rechte von Frauen zu schützen und fördern. Dies teilte das EU-Parlament in einer Presseaussendung vom selben Tag mit. Am 23.06.21 hatte der Bundesverband Lebensrecht (BVL) sowie weitere Organisationen in Brüssel im Vorfeld der Debatte gegen den Bericht protestiert.
Mit 378 Stimmen bei 255 Gegenstimmen und 42 Enthaltungen stellte das Plenum demnach fest, dass das Recht auf Gesundheit und insbesondere die mit der sexuellen und reproduktiven Gesundheit einhergehenden Rechte zu den unveräußerlichen Grundrechten der Frau gehören und Grundpfeiler für die Gleichstellung der Geschlechter sind. Außerdem dürfen sie in keiner Weise verwässert oder entzogen werden, so die Abgeordneten.
Das Parlament erklärte, dass Verstöße gegen die sexuelle und reproduktive Gesundheit und die damit verbundenen Rechte „eine Form der Gewalt gegen Frauen und Mädchen darstellen“ und „den Fortschritt hin zur Geschlechtergleichstellung behindern“. Es fordert daher die EU-Länder auf, sicherzustellen, Frauen „Zugang zu qualitativ hochwertigen, umfassenden und zugänglichen Diensten im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und der damit verbundenen Rechte“ zu gewährleisten und alle Hindernisse zu beseitigen, die dem uneingeschränkten Zugang aller Personen zu diesen Diensten im Wege stehen. Gemeint sind der Zugang zu Abtreibungen.
Zugang zu Abtreibung, Verhütung und Sexualaufklärung
Die Abgeordneten betonen, dass es in einigen Mitgliedstaaten nach wie vor sehr restriktive Gesetze gibt, die Abtreibungen außer unter genau festgelegten Umständen verbieten und Frauen somit zwingen, heimlich abzutreiben, oder ihre Schwangerschaft gegen ihren Willen zu Ende zu führen. Dies stelle eine Verletzung der Menschenrechte dar.
Sie fordern alle Mitgliedsstaaten auf, einen allgemeinen Zugang zu sicherer und legaler Abtreibung zu gewährleisten. Des Weiteren sollen sie sicherzustellen, dass eine Abtreibung auf Antrag in der frühen Schwangerschaft und darüber hinaus, wenn die Gesundheit oder das Leben der schwangeren Person gefährdet ist, rechtmäßig ist.
Die Abgeordneten bedauern, dass es gelegentlich in den Mitgliedstaaten gängige Praxis sei, dass Ärzte und manchmal ganze medizinische Einrichtungen Gesundheitsdienstleistungen auf Basis einer sogenannten Gewissensklausel ablehnen, was dazu führe, dass die Betreuung eines Schwangerschaftsabbruchs aus religiösen oder Gewissensgründen verweigert wird. Dadurch werde das Leben der Frauen gefährdet.
Darüber hinaus fordert das Parlament, dass die EU-Länder einen allgemeinen Zugang zu hochwertigen Verhütungsmethoden und Verhütungsmitteln, zu Familienplanungsberatung und zu Informationen zur Empfängnisverhütung für alle sicherstellen.
Die Abgeordneten bedauern, dass der Zugang zur sicheren und legalen Abtreibung während der COVID-19-Pandemie nach wie vor eingeschränkt sei. Sie erkennen die Auswirkungen der Pandemie auf die Versorgung mit und den Zugang zu Verhütungsmitteln an.
„Umfassende Sexualerziehung“ gewähren
Das EU-Parlament ermutigt die Mitgliedsstaaten außerdem, Kindern der Grund- und Sekundarstufe eine „umfassende Sexualerziehung“ zu gewähren. Dies könne im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und der damit verbundenen Rechte erheblich dazu beitragen, dass es seltener zu sexueller Gewalt und Belästigung kommt.
Berichterstatter Predrag Matic (S&D, HR), nachdem der bericht bennat ist, zeigte sich erfreut über das Ergebnis.
„Diese Abstimmung markiert eine neue Ära in der Europäischen Union und den ersten echten Widerstand gegen eine rückwärtsgewandte Agenda, die die Rechte der Frauen in Europa seit Jahren mit Füßen tritt. Eine Mehrheit der Abgeordneten hat ihre Position gegenüber den Mitgliedsstaaten deutlich gemacht und sie aufgefordert, den Zugang zu sicheren und legalen Abtreibungen und einer Reihe anderer Dienste im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit zu gewährleisten“, so der EU-Parlamentarier.
Weitere Entschließung
In einer separaten Entschließung, in der die Abgeordneten eine Bilanz der Ergebnisse des Nairobi-Gipfels über Bevölkerung und Entwicklung zieht, betonen sie, dass Frauen auf der ganzen Welt eine angemessene und erschwingliche Gesundheitsversorgung und die Achtung ihrer „sexuellen und reproduktiven Rechte“ garantiert werden sollten. Der Zugang zu Diensten im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit, Familienplanung, pränataler Gesundheitsversorgung und Gesundheitsversorgung für Mütter, Neugeborene sowie sicheren Abtreibungsdiensten seien „wichtige Elemente, um Frauenleben zu retten und die Kinder- und Säuglingssterblichkeit zu verringern“, heißt es in der Mitteilung.
Der Text wurde mit 444 Stimmen gegen 182 Stimmen und 57 Enthaltungen angenommen.
Diverse Lebensrechtsverbände wie der Bundesverband Lebensrecht, die Christdemokraten für das Leben (CDL) und auch Ärzte für das Leben e.V. kritisierten die Annahme des Matic-Berichts scharf. Mehr zur Kritik in einem Beitrag der „Tagespost“ vom 25.06.21
Ergänzende Informationen zum Matic-Bericht
2020/2215(INI) The situation of sexual and reproductive health and rights in the EU, in the frame of women’s health
Alle Dokumente und Verfahrensverlauf bis zur Abstimmmung über den Matic-Bericht auf der Webseite des Europaparlaments
23.06.21: Stoppt den Matic-Bericht! – Bundesverband Lebensrecht zeigt Präsenz in Brüssel
» ÄfdL-Fachinformationen zu Schwangerschaftsabbruch / Abtreibung
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