25.08.20: Bundesverfassungsgericht-Beschluss: Regierung muss Triage vorerst nicht regeln

Der Gesetzgeber muss vorerst nicht verbindlich regeln, wen Ärzte in der Corona-Pandemie bei medizinischen Engpässen wie zum Beispiel bei fehlenden Beatmungsgeräten retten sollen und wen nicht. Das Bundesverfassungsgericht wies mit einem am 14.08.20 veröffentlichten Beschluss vom 16.07.20 zur Triage einen entsprechenden Eilantrag von neun Menschen mit Behinderung und Vorerkrankungen ab.

Wie die obersten Richter in ihrer Begründung ausführten, haben die Beschwerdeführenden verschiedene Behinderungen und Vorerkrankungen. Sie gehören daher nach der Definition des Robert Koch-Instituts zu der Risikogruppe, bei der im Fall einer Covid-19-Erkrankung mit schweren Krankheitsverläufen zu rechnen ist. Sie befürchten, aufgrund ihrer Behinderung oder Vorerkrankung medizinisch schlechter behandelt oder gar von einer lebensrettenden Behandlung ausgeschlossen zu werden, weil statistisch gesehen bei ihnen die Erfolgsaussichten einer intensivmedizinischen Behandlung schlechter seien. Diese sollen in der Situation der Triage aber nach den bisherigen Empfehlungen entscheidend sein.

Sie wenden sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen die Untätigkeit des Gesetzgebers, der bislang keine Vorgaben für die Triage gemacht habe. Sie sind der Auffassung, der Gesetzgeber müsse seiner Schutzpflicht für Gesundheit und Leben nachkommen. Vorläufig solle die Bundesregierung ein Gremium einsetzen, das die Triage verbindlich regele.

Wesentliche Erwägungen der Kammer

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 32 Abs. 1 BVerfGG hatte keinen Erfolg. Zwar sei nach Ansicht des Gerichts die Verfassungsbeschwerde nicht von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Sie werfe vielmehr die schwierige Frage auf, ob und wann gesetzgeberisches Handeln in Erfüllung einer Schutzpflicht des Staates gegenüber Menschen mit Behinderung verfassungsrechtlich geboten ist und wie weit der Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei Regelungen medizinischer Priorisierungsentscheidungen reicht.

Dies bedürfe einer eingehenden Prüfung, die im Rahmen eines Eilverfahrens nicht möglich ist. „Es kann hier auch offenbleiben, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen der Gesetzgeber überhaupt im Eilverfahren zur Gesetzgebung verpflichtet werden kann. Vorliegend rechtfertigt schon die an den bisherigen strengen Maßstäben für eine einstweilige Anordnung orientierte Folgenabwägung deren Erlass nicht. Das momentan erkennbare Infektionsgeschehen und die intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten lassen es in Deutschland derzeit nicht als wahrscheinlich erscheinen, dass die Situation der Triage eintritt.“, heißt es in der Pressemitteilung zum Beschluss.

„Soweit sich der Eilantrag im Übrigen konkret darauf richtet, zunächst durch die Bundesregierung ein Gremium auch mit Interessenvertretungen der Betroffenen benennen zu lassen, das die Verteilung knapper intensivmedizinischer Ressourcen vorläufig regelt, würde dies die Situation der Beschwerdeführenden nicht wesentlich verbessern. Auch ein solches Gremium wäre nicht legitimiert, Regelungen mit der Verbindlichkeit einer gesetzgeberischen Entscheidung zu erlassen, auf die es den Beschwerdeführenden gerade ankommt“, heißt es abschließend.

Weitere Informationen

Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Juli 2020 – 1 BvR 1541/20

Regierung muss Triage nicht regeln
tagesschau.de 14.08.2020