Kommentar zur Stellungnahme des Nationalen Ethikrates zu Babyklappen und Anonymen Geburten

Von Maria Overdick-Gulden

Nach längerem Schweigen hat sich der Nationale Ethikrat am 26.11.2009 in einem Mehrheitsbeschluss zurückgemeldet: für ein Nein zur Babyklappe und zu anonymer Geburt hatten sich 19 seiner 26 Mitglieder ausgesprochen. In einem ersten Argument waren sich die Gegner dieser Einrichtungen darin einig, dass Frauen, welche ihre Säuglinge töten oder aussetzen, von dem Angebot der mittlerweile bestehenden 80 Babyklappen und 130 klinischen Angebote zur anonymen Geburt nicht erreicht würden. Dagegen lässt sich faktisch belegen, dass in den vergangenen 10 Jahren etwa 500 Kinder in diesen Einrichtungen abgegeben wurden, dort überlebten und später von ihren in der Zwischenzeit zur Ruhe gekommenen Müttern weiter versorgt wurden.

Über solche subjektiven Beurteilungen hinaus überraschen auch die vorgebrachten juristischen Bedenken und Einwände. Babyklappe wie anonyme Geburt seien mit der positiven Gesetzesregelung der Bundesrepublik unvereinbar, da sie das Grundrecht auf Wissen der eigenen Herkunft und Abstammung vereiteln oder zumindest äußerst erschweren.

Aber wie verhält sich diese Erwägung zu Artikel 1 des Grundgesetzes: “ Die Würde des Menschen ist unantastbar“? Ist diese Basis der deutschen Gesetzgebung zum „Leersatz“ verbogen und jeglichen Inhalts beraubt? Aus ihm erst leiten sich doch alle Grundrechte ab, und als Prinzip derselben doch zu allererst das „Recht auf Leben“! Letzteres ist Basis aller weiteren Rechte auf Entfaltung der Person und ihrer Teilnahme in Gesellschaft und Politik.

Wie kurzsichtig kann / darf „Nationale Ethik“ sein? Kann sie die lebensweltliche Erfahrung unserer abendländischen Kulturtraditionen einfach übersehen? Auf solcherart Geschichtsvergessenheit verwies Renzo Spielmann zu Recht in einem lesenswerten Artikel1.

Nein, die „Babyklappe“ ist keine moderne Erfindung: das „Mosesprojekt“ ist aus unserer jüdisch-christlichen Kultur und der abendländischen Geschichte nicht wegzudenken; hatte das biblische Findelkind Moses doch seinen historischen Auftrag von weltweiter religiöser Tragweite erhalten! Vorwiegend in romanischen Ländern, aber auch in deutschen und britischen Städten waren seit der Spätantike Findelhäuser eingerichtet, um Leben zu erhalten und der großen sozialen Not von Frauen und Familien, namentlich zu Beginn des Industriezeitalters abzuhelfen. Dass solche Geretteten ihr Leben gestalteten und weitergaben, kann an dem in Süditalien häufiger anzutreffenden Familiennamen „Esposito“ heute noch abgelesen werden.

Natürlich ist die Suche des Findel-Kindes nach seiner biologisch-sozialen Herkunft ein psychologisches Problem von persönlicher Dramatik. Aber erstrangig und tragend für seine Existenz ist für jeden Menschen doch das Leben selbst – nicht (!) die mit ihm auch gegebenen störenden Bedingungen und Behinderungen: Menschliches Leben ist nicht nur Gabe, sondern Aufgabe, Ungesichertheit und Wagnis bestmöglich durchzustehen.

Das Mehrheitsvotum im Nationalen Ethikrat spricht sich für die Abschaffung der Babyklappe aus, weil junge Mütter und Eltern über geregelte Beratungsdienste andere Wege erkennen und sich vielleicht doch zur Annahme eines „belastenden“ Kindes entschließen könnten. Dass sich die Bundesvorsitzende des Sozialdienstes katholischer Frauen (SKF) Maria Elisabeth Thoma dem weitgehend anschließt, verwundert. Denn Erfahrung zeigt, dass seelischen Wege des Individuums nicht statistisch berechenbar verlaufen: die Babyklappe ist eine allerletzte Hilfe in einer Situation totaler Überforderung! Immer noch nehmen gerade junge Frauen ihre Schwangerschaft nicht „wahr“, verheimlichen sie vor der Umwelt oder vor sich selbst. Sie empfinden sich zu hilflos, um zum Geburtstermin irgendeine Person um Beistand zu bitten. In solch individueller Not versagt jeder Lösungsautomatismus, jedes vorgefertigte Beratungsschema. Auch die 6 Ratsmitglieder, die sich argumentativ in ihrem Sondervotum gegen die Abschaffung aussprachen, bestätigen: „Die Erfahrungen der Betreiber von Babyklappen und anderen Möglichkeiten der anonymen Geburt belegen, dass es offenbar eine nicht unbeträchtliche Zahl von Eltern und Frauen gibt, die von regulären Hilfsangeboten nicht erreicht werden.“ Es gibt eben Ausnahmen aller „Regulierungen“!

Ist mancher der beteiligten Räte vielleicht trotz aller Erfahrung dem Zeitgeist gefolgt, weil er das Wunschdenken vom perfekten Baby nachvollzieht und akzeptiert?

Zugegeben, die „Klappe“ kann als Angebot missverstanden werden und zum Fortgebeakt animieren. Schon Meyers Konversationslexikon von 1888 warnte vor den „Drehladen“, weil dadurch „das Verantwortungsgefühl der Eltern geschwächt“ werde. Aber welches sozial-caritative Angebot ist gänzlich vor Missbrauch geschützt? Und schmälert dies das hilfreiche Angebot im Dienst am Nächsten und am Menschenleben? Sowohl bei Babyklappe wie anonymer Geburt ist verständnisvolle Liebe mit im Spiel, diese ist das eigentliche Thema. Caritas ermöglicht das Weiterleben-Dürfen, vermeidet das Töten „unerwünschten“ Lebens. Und nichts ist unmöglich: zu Recht verweisen Betreiber von Babyklappen darauf, dass die anonyme Kindesabgabe nicht „automatisch“ mit lebenslanger Unkenntnis der eigenen Herkunft verbunden bleibt.

Ergänzende Informationen:

Stellungnahme des Nationalen Ethikrates zu Babyklappen und Anonymen Geburten vom 26.11.09

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1 Spielmann R., in: „Die Tagespost“ v. 15.12.2009 S. 9