15.04.24: Abschlussbericht der Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin offiziell vorgelegt

Die von der Bundesregierung vor einem Jahr eingesetzte „Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin“ hat am 15.04.24 offiziell ihren Abschlussbericht übergeben an die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Lisa Paus, den Bundesminister für Gesundheit (BMG), Prof. Dr. Karl Lauterbach, und den Bundesminister der Justiz, Dr. Marco Buschmann. Bereits letzte Woche berichtete das Nachrichtenmagazin SPIEGEL vorab über die Inhalte des Berichts und sorgte so für Diskussionsstoff.

„Die Kommission hat sich ein Jahr lang ehrenamtlich mit den Fragen der Bundesregierung zum Schwangerschaftsabbruch und im Bereich Fortpflanzungsmedizin beschäftigt. Ich danke den 18 Expertinnen und Experten sehr für ihre intensive Arbeit. Ihre Empfehlungen bieten eine gute Grundlage für den nun notwendigen offenen und faktenbasierten Diskurs. Denn diesen braucht es bei den Themen Schwangerschaftsabbruch und unerfüllter Kinderwunsch – wir alle wissen, wie emotional diese sein können.“ erklärte Bundesfamilienministerin Lisa Paus in einer gemeinsamen Pressemitteilung vom seleben Tag

Breiter gesellschaftlicher und parlamentarischen Konsens notwendig

Auch Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach lobte die Arbeit der Kommission. Sie habe „hervorragende Arbeit“ geleistet. Ihre wissenschaftliche Expertise sei „eine wesentliche Hilfe, um die komplexen ethischen Fragen zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin zu beantworten.“ Am Ende brauche es dafür aber einen breiten gesellschaftlichen und natürlich auch parlamentarischen Konsens. Danke der Kommission für die Arbeit und für die Anregungen zur Debatte“, betonte Lauterbach.

Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann erklärte: „Inwieweit es möglich wäre, den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuchs zu regeln, ist eine äußerst anspruchsvolle rechtliche, aber vor allem auch ethisch äußerst sensible und bedeutsame Frage. Ich danke der Kommission dafür, dass sie sich dieser Herausforderung gestellt hat und uns heute einen unabhängigen und wissenschaftlich fundierten Bericht übergibt. Als Bundesregierung werden wir den Bericht gründlich auswerten, insbesondere die verfassungs- und völkerrechtlichen Argumente werden wir prüfen. Diesen Auftrag nehmen gerade wir in unserem Hause als Verfassungsressort sehr ernst. Das gebietet uns nicht zuletzt das Verantwortungsbewusstsein für den sozialen Frieden in unserem Land.“

Konkret empfiehlt die Kommission in ihrem 628-seitigen Bericht zusammengefasst folgendes:

Die Arbeitsgruppe 1 befasste sich mit Möglichkeiten der Regulierung des Schwangerschaftsabbruchs außerhalb des Strafgesetzbuches. Demnach sollen Abtreibungen in der Frühphase der Schwangerschaft künftig rechtmäßig sein. Für Abtreibungen in der mittleren Phase der Schwangerschaft stehe dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zu. Außerdem sollten wie bisher Ausnahmeregelungen vorgesehen sein, zum Beispiel bei einer Gesundheitsgefahr der Schwangeren.

Die Arbeitsgruppe 2 eruierte Möglichkeiten zur Legalisierung der Eizellspende und der altruistischen Leihmutterschaft. Sie kommt zu dem Schluss, die Eizell-Spende könne unter engen Voraussetzungen ermöglicht werden. Aufgrund ethischer, praktischer und rechtlicher Überlegungen sollte die altruistische Leihmutterschaft verboten bleiben oder lediglich unter sehr engen Voraussetzungen ermöglicht werden, z.B. bei nahem verwandtschaftlichem oder freundschaftlichem Verhältnis zwischen Wunscheltern und Leihmutter.

Hintergrund

Die Kommission wurde als interdisziplinär zusammengesetztes Gremium berufen und hatte sich am 31. März 2023 konstituiert. Die Kommission bestand aus 18 Expertinnen und Experten unter anderem aus den Fachbereichen Medizin, Psychologie, Soziologie, Gesundheitswissenschaften, Ethik und Recht.

Die Arbeitsgruppen haben laut dem Vorwort im Bericht ihre jeweiligen Prüfaufträge unabhängig voneinander erledigt. Ihre Ergebnisse und jeweils einstimmig beschlossenen Empfehlungen werden in den zwei Teilen eines gemeinsamen Abschlussberichts der Kommission vorgestellt.

Weitere Informationen:

Vollständiger Bericht „Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin“
Veröffentlicht am 15.04.24 (628 Seiten im PDF-Format)

Kurzbericht der „Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin“
(41 Seiten im PDF-Format)


BVL: „Die Empfehlungen der Kommission bringen Frauen im Schwangerschaftskonflikt in noch größere Nöte.“

Bundesverband LebensrechtDie Vorsitzende des Bundesverband Lebensrecht e.V. (BVL), Alexanddra Linder, kritisierte in einer Presseaussendung die Empfehlungen der „Kommission zur Reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin“ im Hinblick auf Abtreibung scharf.

„Abtreibung soll gemäß der von der Bundesregierung eingesetzten Kommission erwartungsgemäß teilweise ganz legalisiert werden, in Abhängigkeit vom vorgeburtlichen Kindesalter. In den ersten Lebenswochen des Kindes seien die Grundrechte der Mütter höher zu werten. Menschenwürde würde damit rechtlich stufenweise gewährt und manchen Menschen auch verwehrt, abhängig von willkürlich gesetzten Bedingungen und Fähigkeiten. Dies würde für alle nicht erwünschten Kinder sowie Kinder mit Krankheiten und genetischen Besonderheiten lebensbedrohlich.“ Die Schutzpflicht des Staates solle für diese Lebensphase aufgegeben werden, was faktisch durch den fahrlässigen Umgang mit dem bestehenden § 218, ohne vollständige Statistik, Prüfung und Motivforschung, sowie durch teils schlechte Beratung bereits der Fall sei, kritsierte Linder.

„Die Empfehlungen der Kommission bringen Frauen im Schwangerschaftskonflikt in noch größere Nöte. So soll die Beratung zwar ausgebaut werden, aber keine Pflicht mehr sein. Dies entspringt einer vollkommen lebensfremden Einschätzung. Denn in der Realität bekommen vor allem diejenigen Frauen, die Beratung und Schutz vor (männlichem) Druck am meisten brauchen, durch die Beratungspflicht eine Zugangs- und Schutzmöglichkeit, die sie ohne diese Pflicht nicht mehr haben“, so Linder.

„Und besonders in den ersten Wochen einer Schwangerschaft, in denen die Kommission eine schrankenlose Abtreibungsfreigabe empfiehlt, brauchen diese Frauen besonderen Schutz vor Abtreibungsdruck und einen zeitlichen Schutzraum für Lebensentscheidungen. Diese beiden wichtigen Schutzfaktoren für Schwangere in besonderen Konfliktlagen – darunter vor allem sozial benachteiligte Frauen, junge alleinstehende Frauen und Frauen mit Migrationshintergrund – würden bei Umsetzung der Kommissionsvorschläge vollständig entfallen.“

Keinen „Versorgungsmangel“ bei Abtreibungen

„Es gibt in Deutschland keinen „Versorgungsmangel“ bei Abtreibungen, keine Stigmatisierung, keine Bedrohungslage für oder Kriminalisierung von Frauen und Einrichtungen, die Regelungen sind eindeutig und unschwer umzusetzen. Dennoch werden solche und weitere beleglose Behauptungen stetig wiederholt, um gesellschaftsverändernde Projekte voranzutreiben, Zahlen, Fakten und Argumente werden ignoriert. Dazu gehört die Behauptung, nach der Legalisierung von Abtreibungen würden Abtreibungszahlen dauerhaft sinken und die Müttersterblichkeit gehe zurück“, erklärte die BVL-Vorsitzende. Beides sei nicht nachweisbar.

„Frankreich hatte 2022 mit 242.000 die höchste Abtreibungszahl seit Erfassung. Mit Deutschland vergleichbare Staaten, in denen Abtreibung legalisiert ist und die als Vorbilder für eine Gesetzesänderung genannt werden, haben durchweg hohe Abtreibungsraten (= Abtreibungen pro 10.000 Frauen im gebärfähigen Alter). Kanada hat eine Abtreibungsrate von etwa 120 (ohne vollständige Statistik), Frankreich von über 160, die USA von etwa 230 – die Rate in Deutschland beträgt aktuell etwa 62.

Die Müttersterblichkeit (= verstorbene Mütter pro 100.000 Lebendgeburten) liegt in Deutschland bei etwa vier, in Frankreich ist sie doppelt so hoch. In Kanada ist sie auf elf gestiegen, in den USA (vor den aktuellen Änderungen in verschiedenen Bundesstaaten) auf über 23 – davon insbesondere bei afroamerikanischen Frauen mit über 55. Inwiefern diese Sachlage ein Vorbild für die deutsche Gesetzgebung darstellen soll, lässt sich nicht erschließen“, gab Linder zu bedenken.

Sie verwies darauf, dass es keine wissenschaftliche Studie gebe, die nachweist, dass Abtreibung einen psychischen oder physischen Nutzen für Frauen habe. Es gebe auch keinen Nachweis dafür, dass Abtreibung den Respekt vor Frauen oder die Emanzipation und die Stärkung von Frauen fördere. Und es gebe keinen Beleg dafür, dass Abtreibung die Müttersterblichkeit senkt. „Hingegen weisen viele Studien und Analysen nach, dass Abtreibung negative Folgen für Frauen haben kann und meistens keine selbstbestimmte, sondern häufig durch Männer herbeigeführte Entscheidung ist, was das Argument einer vorgeblichen Emanzipation von und Errungenschaft für Frauen endgültig konterkariert“, so Linder.

Taktisches Vorgehen

Daher seien die aktuellen Entscheidungen und Vorlagen zu dieser Thematik anders zu betrachten: „Eine nicht bindende Resolution des EU-Parlamentes zur Aufnahme eines Rechts auf „sichere und legale Abtreibung“ in die Grundrechte-Charta dient der Wahlkampftaktik für die EU-Wahlen im Juni. Die Aufnahme einer „garantierten Freiheit auf freiwillige Schwangerschaftsunterbrechung“ in Frankreichs Verfassung ist ein Geschenk für anstehende Wahlen in Frankreich. In Deutschland sind sie im Rahmen der Strategie zu werten, möglichst viele vernunftmäßig unhaltbare bis absurde Ideologieprojekte durchzubringen, solange man die Möglichkeit dazu hat. Dass man sich seiner Sache dennoch nicht ganz so sicher ist, bestätigt unter anderem die einseitige Besetzung der Kommission“, sagte Linder

Die Ergebnisse dieser Woche zeigen laut BVL einmal mehr, dass sich Abtreibungs-Protagonisten im Grunde weder für die betroffenen Menschen und ihre Lebenslagen noch für die fatalen Folgen im Hinblick auf die Wertebasis eines Staates und einer Gesellschaft interessieren.

Weitere Informationen:

Ärzte für das Leben e.V.: Empfehlung der Regierungskommission zur Legalisierung der Abtreibung ein schwarzer Tag für die Menschenrechte in Deutschland
Pressemitteilung 09.04.24

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